Karien

Griechisch-karisches Fabelwesen.
Die griechischen Dichter, Mathematiker, Philosophen und Historiografen vor Platon stammten fast alle aus Kleinasien.

Die Region Karien im Südwesten Kleinasiens war hauptsächlich wegen ihrer geografischen Lage bedeutend. In Milet traf eine wichtige Landverbindung von und nach Persien auf den Seeweg vom Orient in die Ägäis. Milet stand zunächst unter minoischem, ab 1400 v. Chr. unter mykenischem Einfluss und ist heute archäologisch bestens erforscht. Die eigentlichen Karer im gebirgigen Hinterland kennen wir jedoch fast nur aus historischen Überlieferungen. So zählen z.B. hethitische Quellen Karkiša (Karien) zu den luwischen Königreichen des Aššuwa-Bündnisses.

KENNTNISSTAND

Die gebirgige Küstenlandschaft südlich des Mäander (türkisch Büyük Menderes) heißt Karien. Diese Region bietet natürliche Häfen im Übermaß, ist dafür aber nur unvorteilhaft mit dem Binnenland verbunden. Mit Ausnahme des Xanthos und des Indos entwässern die meisten Flüsse zum Mäander und nicht zur Küste, so dass nur wenige fruchtbare Talauen und Küstenebenen vorhanden sind. Trotzdem war Karien in der Antike Knotenpunkt wichtiger Handelswege. Um diese Südwestecke Kleinasiens führt nämlich der Seeweg vom Orient in die Ägäis, dem nicht nur in der Neuzeit, sondern schon vor mehreren Jahrtausenden große strategische Bedeutung zukam.

Die wichtigste Fundstätte in Karien ist Milet. Da die Stadt seit 1899 systematisch archäologisch erforscht wird, ist ihre Besiedlungsgeschichte außerordentlich gut erfasst. In der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. (von 1900 bis 1400 v. Chr.) stand Milet unter minoischem Einfluss. Zumindest die Führungsschicht vor Ort dürfte aus Kreta gestammt haben. In dieser Zeit organisierten die Herrscher und Händler an den Alten Palästen auf Kreta ihre Handelswege, hauptsächlich um an Metalle zu gelangen. Mit Stützpunkten und Kolonien um die Ägäis schützten sie diese Routen. Nach der Übernahme Kretas durch mykenische Griechen wurde auch Milet um 1400 v. Chr. mykenisch. Um 1300 v. Chr. erlitt die Stadt eine gewaltige Brandkatastrophe. Aus hethitischen Dokumenten ist bekannt, dass Großkönig Muršili II. (1318-1290 v. Chr.) in seinem zweiten Regierungsjahr, also um 1316 v. Chr., mit seinem Heer gegen Millawanda und Apaša anzog und die beiden wichtigsten Städte des luwischen Kernstaates Arzawa in Schutt und Asche legte. Millawanda wird heute mit Milet gleichgesetzt, Apaša mit Ephesos.

Als Milet wieder aufgebaut wurde, ähnelten die Stadtmauern stilistisch hethitischen Befestigungsanlagen, was nahelegt, dass der mykenische Einfluss beendet war. Der Großkönig Hattušili III. (1266-1236 v. Chr.) beklagt sich später im sogenannten Tawagalawa-Brief beim König von Achijawa über einen Pijamaradu von Arzawa, der von Millawanda aus gegen westliche Vasallen der Hethiter Krieg führe. Die Forschung geht heute davon aus, dass Achijawa das mykenische Griechenland bezeichnet. Demnach scheint Arzawa in der Mitte des 13. Jh. v. Chr. die Kleinkönigreiche in Westkleinasien, die sich eindeutig auf die Seite des hethitischen Großkönigs stellten, ernsthaft drangsaliert zu haben. Bemerkenswert ist, dass Milet nicht unter den Umwälzungen während der Krisenjahre (1192-1182 v. Chr.) gelitten zu haben scheint.

ANREGUNGEN

Eine karische Meeresherrschaft

Der Name Karien leitet sich von dem luwischen Wort Karuwa für „steiles Land“ ab. In hethitischer Zeit hieß diese Region Karkiša. Im antiken Griechenland nannte man sie Καρία (Karia) und heute auf Türkisch Karya. Laut dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot (1.171), der aus der karischen Hafenstadt Halikarnassos, dem heutigen Bodrum, stammte, glaubten die Karier, „sie seien ureingeborene Bewohner des Festlandes und hätten stets denselben Namen gehabt, den sie auch jetzt haben“.

Die Interpretation der Ausgrabungen in Milet trug erheblich dazu bei, dass der luwische Kulturkreis zur Forschungslücke wurde, denn das Wort luwisch wird man in den seit über einem Jahrhundert kompilierten Grabungsberichten kaum finden. Der Heidelberger Archäologe Wolf-Dietrich Niemeier, der die Ausgrabungen des bronzezeitlichen Milet nach 1994 leitete, unterschied prinzipiell nur die minoischen, mykenischen und hethitischen Kulturkreise. In den heute gebräuchlichen politischen Karten des 13. Jh. v. Chr. erstreckt sich das hethitische Reich infolgedessen rüsselförmig nach Westen bis nach Milet, um (nur) dort nahtlos an den mykenischen Einflussbereich zu stoßen. Eine solche Situation mag kurzfristig bestanden haben, sie dürfte aber kaum charakteristisch für die Bronzezeit im Allgemeinen gewesen sein. Denn auch als Milet minoisch oder mykenisch bestimmt war, galt dies nur für die geografisch isolierte Stadt und keineswegs für das Hinterland. Im Inneren Kariens werden während der fast 2000 Jahre umfassenden Bronzezeit ganz überwiegend endemische anatolische Volksgruppen, die Luwisch sprachen, gelebt haben. Wie fast alle anderen Regionen Kleinasiens auch, werden sich diese von Zeit zu Zeit den Hegemonialansprüchen der hethitischen Zentralregierung unterworfen haben, nur um schon bald nach Wegen zu suchen, diese wieder abzuschütteln.

Aus historischen Überlieferungen wissen wir heute mehr über die eigentlichen Karer als durch archäologische Untersuchungen. Letztere haben bisher fast ausschließlich an Küstenstützpunkten stattgefunden, die eindeutig unter minoischen oder mykenischen Einfluss standen (Milet, Müsgebi, Iasos) und/oder sich auf Zentren bzw. Siedlungsschichten aus der Zeit der griechischen Kolonisation konzentriert (Stratonikeia).

In hethitischen Dokumenten zählt Karkiša (neben Lukka und Wilusiya) zu den 22 luwischen Königreichen des Aššuwa-Bündnisses, das sich im 15. Jh. v. Chr. formte, um sich gegen die hethitischen Hegemonie-Ansprüche zu wehren. Der Großkönig Tuthalija I. (ca. 1460-1420 v. Chr.) behauptet zwar glaubhaft, dieses Bündnis besiegt zu haben, letztlich war es aber das hethitische Reich, das gut zweihundert Jahre später verschwand, während sich die luwische Kultur ausbreitete.

Homer schreibt in der Ilias (2.869), dass die Stadt Milet zu Karien zähle und dass die Karer eine Sprache mit „barbarischen Rachelauten“ sprächen und Verbündete der Trojaner seien. Sowohl Herodot (1.171) wie auch Strabon (7.2) sagen, die Karer hätten früher Leleger geheißen. Laut Strabon (13.59) gründeten sie acht Städte, deren Ruinen ein charakteristisches Mauerwerk aufweisen und zum Teil heute noch sichtbar sind. Eine dieser Siedlungen, einige Kilometer landeinwärts von Halikarnassos, trägt den Namen Pedasa (6.20). Die Region im fernen östlichen Hinterland von Karien hieß in hethtischer Zeit Pitasa. Im 6. und 5. Jh. v. Chr. war dieses Pedasa sogar bedeutender als seine Nachbarstadt Halikarnassos.

Die Karer werden häufig mit den Phöniziern in Verbindung gebracht. Karisch und phönizisch scheinen bei Homer und Herodot mit fremdländisch und orientalisch gleichbedeutend zu sein. Die Karer galten als unternehmungslustig, tapfer und seefest. Ihre Leistungen in der Seefahrt waren so berühmt, dass man sie als „Meerleute“ bezeichnete – was durchaus an die Seevölker der ägyptischen Tempelinschriften erinnert. Der griechische Geschichtsschreiber Diodoros (5.84.4) wie auch der Kirchenschriftsteller Eusebius von Caesarea erwähnen eine karische Seeherrschaft während des späten 8. Jh. v. Chr.

Laut Herodot (1.146) waren bei der Gründung der griechischen Kolonien in Westkleinasien keine Frauen aus Griechenland beteiligt gewesen; es seien nur Männer gekommen, und diese hätten sich mit karischen Frauen verheiratet. Berühmte griechische Bürger karischer Städte, wie Thales und Herodot, waren also halbe Karer und hatten karische Vorfahren. Insofern überrascht es nicht, dass Herodot (1.171) das karische Volk als das „bei weitem geachtetste in der ganzen Welt“ betrachtete. Obwohl zu seiner Zeit Griechen die karischen Küstenstädte regierten, war weiterhin ein großer Teil der Bevölkerung altkleinasiatischer Abstammung und benutzte nach wie vor die eigene Sprache.

Herodot (1.171) sagt auch, die Karer hätten sich als Erste Federbüsche auf die Helme gesetzt. Solche Federbüsche sind das wichtigste Charakteristikum der Seevölker-Darstellungen in Medinet Habu.

LITERATUR

Herda, Alexander (2009): “Karkiša-Karien und die sogenannte Ionische Migration.” In: Milet und Karien vom Neolithikum bis zu den ‘Dunklen Jahrhunderten’ – Mythos und Archäologie. Frank Rumscheid (ed.), Rudolf Habelt, Bonn, 27-108.