Beschreibungen der Stadt Troja

Rekonstruktion der künstlichen Häfen und unterirdischen Wasserwege in Troja. (© Christoph Haußner)

Zahlreiche Beschreibungen von Reisenden im Mittelalter weisen darauf hin, dass mit Troja nicht nur die Stadt, sondern die gesamte Region bezeichnet wurde. Dass heute keine Überreste der eigentlichen Stadt mehr sichtbar sind, hat verschiedene Gründe: Die Ruinen der Unterstadt, so heißt es, seien in der Ebene unter Schlammlawinen begraben worden. Geologische Prozesse wie Abtragung und Ablagerung, aber auch die landwirtschaftliche Nutzung veränderten die Topografie zusätzlich. Was sich trotz allem an Ruinen erhalten hatte, wurde gezielt abgetragen, um Baumaterial zu gewinnen.

KENNTNISSTAND

Im 6. Jh. n. Chr. war Hisarlık offenbar vollständig verlassen; der Name Troja blieb jedoch stets mit der Region verbunden. Vom 12. Jh. an haben wir Notizen und Beschreibungen von Besuchern, deren Schiffe in der Nähe von Troja ankerten. Auch wenn sie an unterschiedlichen Stellen anlegten, bezeichneten die Einheimischen den jeweiligen Ort stets als Troja. Deswegen wurde das ganze Gebiet als Troas bekannt.

Ramon Muntaner, zwischen 1305 und 1309 Gouverneur von Gallipoli, sagt in seinen Aufzeichnungen, die Stadt Troja hätte einen Umfang von 300 Meilen gehabt. Ihre Tore wären sowohl in Cyzicus am Marmarameer wie auch am Golf von Edremit gewesen – also rund 100 Kilometer voneinander entfernt.

Im Herbst 1437 ritt der spanische Edelmann Pero Tafur von Chios nach Norden, bis er bei Adramyttion am Golf von Edremit eintraf, wo er scheinbar „Troja“ erreicht hatte. Er folgte dann der Küste weiter Richtung Norden nach „Ilion“, an der Küste gegenüber von Tenedos.

Im Jahr 1599 erreichte Thomas Dallam im Gefolge von Sultan Mehmet III. die Troas. Er legte zunächst an der Westküste gegenüber von Tenedos Anker und konnte von dort Troja sehen. Dann fuhr er weiter Richtung Norden und legte bei Sigeum an, wo er die Ruinen von Troja „aus nächster Nähe“ betrachten konnte. Offensichtlich befand er sich in dem Glauben, es mit einer einzigen riesigen Fundstätte zu tun zu haben.

ANREGUNGEN

Im Jahr 1103 über viele Meilen sichtbare Ruinen

Es gibt keine Diskrepanz zwischen den hier aufgeführten Schilderungen und der Arbeitshypothese von Luwian Studies. Wir sind der Meinung, dass die Beschreibungen einer Region mit Namen Troja, die sich über die Troas erstreckte, zwar nicht von vornherein für bare Münze, aber dennoch ernst genommen und weiterverfolgt werden sollten. Troja wäre demnach nicht nur der Name einer Stadt, sondern auch einer Region (etwa so wie New York City und New York State), wobei Letztere vom Marmarameer bis nach Edremit reichte. Wenn in antiken Quellen von Gold, Kupfer und Messing aus „Troja“ die Rede ist, dürfte daher weniger die uns bekannte Siedlungsstätte auf Hisarlık gemeint gewesen sein, sondern vielmehr die berühmten Bergwerke im Hinterland der Biga-Halbinsel.

Für Nichtfachleute mag es erstaunlich sein, dass heute nichts mehr von der einstigen Stadt Troja zu sehen ist. Das liegt zum Teil an Abtragung und Ablagerung, die dazu führen, dass die heutige Topografie nicht mehr der Oberfläche vor dreitausend Jahren entspricht. Siedlungsschichten auf Hügeln hat der Regen abgetragen, solche in der Ebene wurden von späteren Sedimenten überlagert. Jahrtausendelange landwirtschaftliche Nutzung verstärkte diese Effekte über das natürliche Maß hinaus – insbesondere nach der Einführung von Traktoren und Pflügen, die fast einen Meter tief reichen. Die vom Menschen verursachte Abtragung kann so weit gehen, dass Vermessungspunkte aus den 1960er Jahren ihre Umgebung heute um einige Meter überragen, weil der Boden in ihrer Umgebung um so viel weggepflügt wurde.

Der geologische Untergrund rund um die Ebene von Troja besteht aus tertiärem Mergel, einem wenig verfestigten Sediment, das sich problemlos durchpflügen lässt. Bei solchem Untergrund sind Rutschungen keine Seltenheit. Schon Frank Calvert, der Heinrich Schliemann auf Hisarlık aufmerksam gemacht hatte, beschrieb Abbrüche in den Mergeln, bei denen über eine Million Kubikmeter Material in Bewegung geriet – allerdings sah er deren Spuren vor allem an den Steilufern der südlichen Dardanellenküste und weniger in der Ebene.

In Troja kommt erschwerend hinzu, dass Leute aus der Region seit dem 16. Jh. die Ruinen aus der Bronzezeit und der Antike gezielt abtrugen, um Baustoff für Bollwerke an den Dardanellen und für die Hagia Sophia zu gewinnen. Als Philip Barker Webb 1819 in Hisarlık eintraf, sah er, wie die letzten Reste der einstigen Stadtmauer von Troja verschwanden, und sagte daraufhin: „Künftige Reisende werden von ihr [der berühmten Stadt] nicht einmal die dürftigen Überreste sehen, die uns ein günstiges Schicksal mindestens noch antreffen ließ.“

Dennoch dürften große Reste der Stadt Troja noch heute existieren. Die Ruinen der Zerstörung (von Troja VIIa) sind möglicherweise sogar außerordentlich gut erhalten. Legt man einen Profilschnitt durch die königliche Zitadelle auf Hisarlık bis in die Ebene hinein (siehe Abbildung oben) so stellt sich heraus, dass die Reste der Unterstadt 5 bis 7 Meter unter der Oberfläche der heutigen Flussaue liegen. Stratifizierte Schichten mit vielen Keramikfragmenten, sogar ganze Gebäudereste, sind in Bohrkernen, die mehrere hundert Meter auseinander liegen, gefunden worden.

LITERATUR

de Clavijo, Ruy Gonzalez (1928): Embassy to Tamerlane 1403-1406. Harper, London, 1-375.
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