Vor bald zwölf Jahren nahm sich der Schweizer Geoarchäologe Dr. Eberhard Zangger vor, die bronzezeitlichen Siedlungen im Westen der heutigen Türkei systematisch zu erfassen und auszuwerten. Gemeinsam mit gleichgesinnten Akademikern gründete er zu diesem Zweck die Stiftung Luwian Studies, die in der Zwischenzeit verschiedene Projekte förderte und zahlreiche wissenschaftliche Artikel veröffentlichte. Inzwischen ist die Publikation erschienen, die das erste Ziel der Stiftung war: eine Auswertung der Ergebnisse von 33 Ausgrabungen und 30 archäologischen Surveys, die insgesamt 477 große mittel- und spätbronzezeitliche Siedlungsplätze umfassen. Die Siedlungen waren alle während des gesamten 2. Jahrtausends v. Chr., manche sogar 5000 Jahre lang bewohnt. Eine faltbare topografische Karte begleitet die Publikation.
Das westliche Kleinasien im 2. Jahrtausend v. Chr. galt bisher als politisch und wirtschaftlich unbedeutend. Es sind hauptsächlich Linguisten, die sich mit der Sprache und Schrift der luwischen Kultur beschäftigen. Die neue Untersuchung von Eberhard Zangger, Alper Aşınmaz und Serdal Mutlu belegt jedoch, dass der Westen der heutigen Türkei von einem dichten Netz blühender Siedlungen überzogen war.
Der luwische Einflussbereich im westlichen Kleinasien liegt zwischen den bisher anerkannten spätbronzezeitlichen Kulturen (Luwian Studies #0109).
Die Ergebnisse der Studie widerlegen die gängige Lehrmeinung, wonach die Gebiete zwischen den gut erforschten griechischen Mykenern und den anatolischen Hethitern von bedeutungslosen Nomaden bevölkert waren.
Rekonstruktion des „verbrannten Palastes“ in Beycesultan Level V (nach Lloyd und Mellaart 1965; Luwian Studies #0302).
Die bekannteste Fundstätte des bronzezeitlichen Westanatolien ist zweifellos das legendäre Troja am Eingang zu den Dardanellen, das zwischen 1190 und 1180 v. Chr. laut Homer einem Überfall der Mykener zum Opfer fiel. Homer beschreibt in der Ilias den Kampf um die Stadt bis ins Detail: Er listet einerseits die angreifenden mykenischen Kleinkönigreiche und andererseits die Verbündeten Trojas auf. Das Einzugsgebiet der Letzteren reicht von Nordgriechenland über Thrakien entlang der gesamten ägäischen Küste Anatoliens bis nach Lykien und ans Schwarze Meer. Homer ist natürlich keine verlässliche historische Quelle. Dennoch ist es verwunderlich, dass die spätbronzezeitlichen Kulturen dieser Regionen bisher kaum systematisch archäologisch erfasst wurden. Diese Lücke könnte dazu beigetragen haben, dass das Ende der Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum – das zum Untergang ganzer Kulturen und zum Verlust der Schrift in manchen Regionen führte – bis heute nicht zufriedenstellend erklärt werden kann.
Die aktuellen Forschungen konzentrieren sich jedoch nicht auf Troja. Inzwischen sind vielmehr 477 Siedlungsplätze aus dem Zeitraum von ca. 2000 bis 1180 v. Chr. gleichermaßen mithilfe von Geografischen Informationssystemen (GIS) ausgewertet worden. Anhand von 30 physiogeografischen Parametern konnten die Wissenschaftler ermitteln, welche Standorte die Menschen für ihre Siedlungen bevorzugten. Am allerwichtigsten war offenbar die Nähe zu Trinkwasser und fruchtbarem Ackerland. Auch geringe Entfernungen zu vermuteten Verkehrswegen durch das Landesinnere spielten eine Rolle. Erzvorkommen hingegen – in der Region reichlich vorhanden – hatten offenbar keinen Einfluss auf das Siedlungsmuster.
- Die Luwier hatten eine eigene Sprache, die luwische, die während des 2. Jahrtausends v. Chr. im Westen und Süden Kleinasiens vorherrschend war.
- Sie besaßen außerdem mindestens von ca. 1700 bis 700 v. Chr. eine eigenständige Schrift, die luwischen Hieroglyphen.
- Die luwischen Hieroglyphen wurden während des gesamten dunklen Zeitalters (ca. 1200–800 v. Chr.) weiterhin verwendet, während die anderen bronzezeitlichen Schriftsysteme entweder gänzlich aufgegeben (Linear B) oder in Kleinasien nicht mehr benutzt wurden (Keilschrift).
- Troja ist im Vergleich mit den anderen kulturellen Zentren der Spätbronzezeit (Mykene, Knossos, Hattusa) ohne Frage weltgeschichtlich gesehen der bedeutendste Ort.
- Wir kennen heute 477 luwische Siedlungsplätze mit über 100 Meter Durchmesser, die während des ganzen 2. Jahrtausends v. Chr. bewohnt waren. Das sind mehr Orte, als von der minoischen, der mykenischen und der hethitischen Kultur zusammen bekannt sind.
- Der luwische Einflussbereich erstreckte sich über mindestens 250’000 km2 – eine Fläche, die grösser ist als die Einflussbereiche der minoischen, der mykenischen und der hethitischen Kultur zusammen.
- Ein luwischer König korrespondierte auf Augenhöhe mit einem ägyptischen Pharao, wie aus der Amarna-Korrespondenz belegt ist. Einem mykenischen König war das nicht gegönnt.
- Die luwische Kultur lieferte das Substrat für die wohlhabenden Königreiche der Frühen Eisenzeit, allen voran das phrygische und das lydische Reich.
- Zu den sagenumwobenen Regenten dieser Zeit gehörten der König Midas, in dessen Händen alles zu Gold wurde, und König Krösus, der bis heute als der sprichwörtlich reichste Mensch aller Zeiten gilt.
Die mutmaßliche politische und wirtschaftliche Bedeutung der Luwier stützt nicht zuletzt die These, dass sie hinter den legendären Seevölkern stehen, die wesentlich zum Untergang der bronzezeitlichen Kulturen beitrugen. Vermutlich nutzten die luwischen Kleinkönigreiche um ca. 1192 v. Chr. eine Schwächephase des hethitischen Königshauses, um ein Militärbündnis einzugehen, unbemerkt eine Flotte aufzubauen und Zypern aus der hethitischen Kontrolle zu befreien. Anschließend überfielen sie auch die wichtigen Verbündeten der Hethiter an der syrischen Küste. Diese Reihe von Zerstörungen führte letztlich nicht nur zum endgültigen Untergang des hethitischen Königreichs, sondern läutete im gesamten östlichen Mittelmeerraum das Ende des heroischen Zeitalters ein.