Bürgerkrieg auf dem griechischen Festland

Nachdem Troja gefallen war, ritzte ein Schreiber im Palast des Nestor in Pylos in den feuchten Lehm auf der Rückseite einer Linear-B-Tafel ein Labyrinth.
Die mykenische Kriegervase aus der Zeit um 1100 v. Chr. reflektiert die Erinnerungen an einen Krieg.
Gefangene und gefesselte Seevölker in Medinet Habu (nach Sandars).

Was den Untergang der mykenischen Kultur nach 1200 v. Chr. bewirkte, wird bis heute diskutiert. Schriftzeugnisse sind nicht vorhanden. Eine durchaus plausible Erklärung bieten jedoch die mündlich überlieferten Erzählungen: Als es den Mykenern endlich gelungen war, Troja zu zerstören, waren sie bereits viel zu lange von zu Hause weg gewesen und hatten dort Macht und Kontrolle verloren. Als sie zurückkamen, brachen Kämpfe zwischen den Veteranen und ihren Stellvertretern aus, die schließlich in einem Bürgerkrieg endeten.

KENNTNISSTAND

Ab 1200 v. Chr. leiteten auf dem griechischen Festland Umwälzungen und lokale Zerstörungen das Ende des heroischen Zeitalters ein. Verschiedene kulturelle Errungenschaften, die eng mit der Palastverwaltung verknüpft waren – allen voran die Schrift –, gingen verloren. Manche Orte wurden zerstört, viele vollständig verlassen, dafür entstanden auch Siedlungen an neuen Stellen. Archäologische Grabungen zeigen, dass in der Unterstadt von Tiryns nach 1180 v. Chr. verschiedene neue Adelsresidenzen entstanden, von denen zumindest eine respektlos an die Außenmauern der Zitadelle gesetzt wurde. Auch im Zentrum der Argivischen Ebene tauchen Residenzen völlig ungeschützt auf freier Fläche auf. Die mykenische Kultur existierte noch während einiger Generationen mehr oder weniger richtungslos und verschwand schließlich von der Bildfläche.

Über die Ursachen der Zerstörungen gibt es zahlreiche Hypothesen, jedoch kaum eine zufriedenstellend belegte Erklärung. Nach dem Verlust der Schriftkenntnis blieben die Erinnerungen über Jahrhunderte in Form von mündlich tradierten Erzählungen bewahrt, dem großen Epischen Zyklus. Aus diesem sind heute nur noch Relikte erhalten. Auch Homer nutzte für seine Dichtung Auszüge aus dem Stoff.

ANREGUNGEN

Die Mykener können ihren Sieg nicht auskosten

Beim Trojanischen Krieg ging es nicht um die Befreiung einer entführten Frau, wie Homer publikumswirksam erzählt, sondern vielmehr um den Zugang zu Bodenschätzen und Handelswegen. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand auch nicht die Einnahme Trojas; dort wird sich lediglich die letzte Schlacht des großen Krieges zugetragen haben.

Obwohl die mykenischen Griechen letztlich gegen die Luwier siegten und selbst Troja zerstörten, war auch ihre Kultur zum Scheitern verurteilt. Die Heimkehrer-Epen des Epischen Zyklus (Nostoi) beschreiben, was während der Abwesenheit der mykenischen Könige im Trojanischen Krieg geschah: Deren Gattinnen und weniger kompetente Stellvertreter nahmen ihre Plätze ein. Als die überlebenden siegreichen Könige zurückkehrten, wollten die Stellvertreter ihre Macht nicht wieder abgeben. Die Kriegsgewinner wurden zum Teil bei ihrer Heimkehr meuchlings ermordet, zum Teil fuhren sie einfach weiter, als sie von den Unruhen hörten. So entwickelte sich ein Bürgerkrieg, der allmählich eine Burg nach der anderen erfasste.

Die Bücher 1-4 und 13-24 der Odyssee wären demnach eine bildstarke und akkurate Schilderung der politischen Zustände, wie sie auf dem Peloponnes um 1175 v. Chr. herrschten. Homer deutet darauf hin, dass die Königreiche in der Argolis bereits in die Hände der Aufständischen gefallen waren. Am Königshof von Odysseus in Ithaka herrschte Chaos, weil gleich 108 Freier um die Nachfolge des legitimen Herrschers buhlten. In Pylos hingegen erlebte Odysseus’ Sohn Telemachos noch, wie der Herrscher Nestor im alten Stil regierte.

Sogar in Griechenland scheint sich die Zerstörungswelle von Osten nach Westen fortgesetzt zu haben. Als der vielleicht letzte Palast fällt auch Pylos den Aufständischen in die Hände. Die Linear-B-Tafeln aus den letzten Tagen von Pylos belegen, dass man sich auf einen Angriff vorbereitete. Wie sich die letzten Verteidiger dort gefühlt haben mögen, beschreibt der Prophet Theoklymenos, der von Argos zunächst nach Pylos und dann nach Ithaka geflohen war, in der Odyssee:

Ich sehe euch in Dunkel getaucht, eure Gesichter, Köpfe und Glieder, alles von Nacht umhüllt! Ich höre Wehgeschrei. Durch das Dunkel hindurch sehe ich Tränen über Gesichter fliessen, Blut an den Wänden und am Mittelpfeiler herabströmen; Vorhalle und Hof sind voll bleicher Schatten, die dem Erebos, der ewigen Nacht, zustreben. Das Licht der Sonne am Himmel ging verloren, das Dunkle hat seine Herrschaft angetreten.

Homer, Odyssee 20.353 (Lempp)

„Das Licht der Sonne am Himmel ging verloren“ haben Wissenschaftler verschiedentlich mit einer totalen Sonnenfinsternis, die sich am 16. April 1178 v. Chr. in Griechenland ereignete, in Verbindung gebracht.

LITERATUR

Reemtsma, Jan Philipp (2003): Warum Hagen Jung-Ortlieb erschlug. Unzeitgemäßes über Krieg und Tod. C. H. Beck, München, 1-300.
Zangger, Eberhard (1992): The Flood from Heaven – Deciphering the Atlantis Legend. Sidgwick & Jackson, London, 1-256.