Das Neue Reich in Ägypten

Ägyptische Krieger werden groß, schlank und breitschultrig dargestellt. Das Land am Nil besaß eine Berufsarmee, die in Fußsoldaten und Wagenkämpfer unterteilt war. (© Rosemary Robertson)
Der Totentempel von Königin Hatschepsut in West-Theben.
Der erste Pylon des Luxor-Tempels, eines der Monumentalbauwerke aus der Zeit Rames’ II. Der zweite Obelisk steht seit 1836 auf der Place de la Concorde in Paris.
Das nubische Volk wird zur Zeit des ägyptischen Neuen Reichs durchweg mit schwarzer Hautfarbe dargestellt. (© Rosemary Robertson)

Schriftfunde wie die sogenannten Seevölker-Inschriften sind eine der wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Ereignisse am Ende der Bronzezeit. Vermutlich war das Land nur an der Peripherie in die Seevölker-Kriege um 1190 v. Chr. verwickelt, doch externe Konflikte und interne Auseinandersetzungen um die Thronfolge schwächten das Reich und hinderten es möglicherweise daran, aktiv in die Geschehnisse einzugreifen.

KENNTNISSTAND

Ägypten spielte seit eh und je eine Sonderrolle in der frühgeschichtlichen Entwicklung der Mittelmeerländer. Seine isolierte geografische Lage und die Fruchtbarkeit des Niltals sorgten für eine kulturgeschichtliche Entfaltung, die in der Alten Welt einzigartig ist und ihren eigenen Gesetzen folgte. Das Land nordöstlich der Sahara war fast rundherum vor Feinden sicher.

Als das Niltal Ende des 4. Jt. v. Chr. trockener wurde, begannen die Ägypter, ihre Felder künstlich zu bewässern. Schon die früheste Darstellung einer landwirtschaftlichen Szene – aus dem 31. Jh. v. Chr. – zeigt einen König anlässlich der Eröffnung eines Bewässerungskanals. Sowohl die Bewohner als auch die Wirtschaft des Landes waren so sehr vom Nil abhängig, dass eine Staatsordnung nahelag, die sich um die Wasserverteilung, die Vermessung und die Regelung von Steuern und Besitz kümmerte. Seit dem Ende des 4. Jt. v. Chr. herrschte daher in Ägypten eine profilierte Hochkultur mit Königtum, Verwaltung, Schrift, Kunst und Religion.

Das Neue Reich von 1549 bis 1069 v. Chr. war eine Blütezeit der ägyptischen Geschichte. Gleichzeitig war das Land jedoch vermehrt in externe Konflikte verwickelt. Mit der Machtübernahme durch Ramses I. um 1290 v. Chr. wurde die 19. Dynastie begründet. In diese Zeit fielen Kämpfe mit den Hethitern, gegen die Ramses II. 1274 v. Chr. die berühmte Schlacht von Kadesch verlor. Um 1200 v. Chr. war Ägypten zunächst in Auseinandersetzungen mit Libyen verwickelt und erlebte dann die Seevölker-Invasionen zumindest an deren Peripherie. Während dieser Zeit schwächten innere Auseinandersetzungen um die Thronfolge das Reich. Auf Sethos II., der von 1203 bis 1193 v. Chr. regierte, folgten in kurzen Zeitabständen mehrere Herrscher. 1185 v. Chr. bestieg Sethnacht den Thron und begründete damit die 20. Dynastie. Seine Machtübernahme ist weitgehend ungeklärt, auch seine Herkunft ist nicht bekannt. Bereits drei Jahre später folgte ihm sein Sohn Ramses III. auf den Thron, der als Erster eine gewisse Stabilität wiederherstellen konnte und zugleich als Letzter die ägyptische Vormacht im Mittelmeerraum repräsentierte.

Da sich das Land mehr als jemals zuvor anderen Kulturen des Nahen Ostens öffnete und die Könige eine umfangreiche Korrespondenz mit allen wichtigen zeitgenössischen Herrschern führten, liefern königliche und private Inschriften Belege für die Ereignisse vor, während und nach den Umbrüchen um 1190 v. Chr.

ANREGUNGEN

Fragwürdige historische Genauigkeit der ägyptischen Tempelinschriften

Bereits seit etwa 3200 v. Chr. benutzten Ägypter die Hieroglyphenschrift. Dadurch waren sie in der Lage, Ereignisse festzuhalten und über Generationen hinweg unverändert zu überliefern. Die Griechen erwarben die Schriftkenntnis endgültig erst 2500 Jahre später. Als sie sich dann mit ägyptischen Tempelpriestern über Geschichte auszutauschen suchten, betrachteten diese sie ein wenig herablassend, so als wären die Griechen altkluge Kinder (Dion Chrysostomos, Rede 11.1; Platon, Timaios 22b).

Die Fähigkeit, geschichtliche Ereignisse dauerhaft festzuhalten, macht Ägypten zu einer unverzichtbaren Ressource für die Rekonstruktion der Ereignisse am Ende der Bronzezeit. Von den sogenannten Seevölker-Invasionen wissen wir heute vor allem aus ägyptischen Tempelinschriften. Der Ausgangspunkt der „Seevölker“ wird heute im west- bzw. südkleinasiatischen und ägäischen Raum vermutet. Ägypten befand sich eher an der Peripherie der Ereignisse – und überstand die Umbrüche als einziger Anrainer des östlichen Mittelmeers weitgehend unbeschadet. Die Pharaonen waren nicht in der Lage, aktiv einzugreifen, weil zu dieser Zeit wegen dynastischer Wirren chaotische Zustände herrschten.

Wahrscheinlich die wichtigste – und mit Sicherheit die anschaulichste – Quelle für das Verständnis der Abläufe am Ende der Bronzezeit sind die Inschriften am Totentempel von Ramses III. in Medinet Habu, im oberägyptischen West-Theben. Es handelt sich um einen der wenigen gut erhaltenen Tempel dieser Art, denn die meisten wurden bereits während des Neuen Reichs als Baumaterial verwendet und sind daher weitgehend verschwunden. Die ägyptischen Inschriften enthalten die Namen der Völker, die die Länder rund um das östliche Mittelmeer angriffen, und stellen sie in aufwendigen Zeichnungen dar. Sie erzählen auch die Geschichte der Invasionen einschließlich der Jahresangaben. Leider ist die Genauigkeit dieser Informationen mehr als fragwürdig. Ägyptische Inschriften glorifizierten in der Regel eher den Pharao, als dass sie die historischen Tatsachen wiedergaben. So ließ Ramses II. in seinem Totentempel, in Karnak, Luxor, Abydos und Abu Simbel die Schlacht von Kadesch als überwältigenden Sieg darstellen: Die Hethiter seien vernichtend geschlagen und ein Bruder des hethitischen Großkönigs Muwatalli II. getötet worden. Tatsächlich hatte Muwatalli II. nur einen Bruder. Dieser kämpfte in der Schlacht als General, überlebte unverletzt, übernahm später als Muwatalli III. die Thronfolge, schloss mit Ägypten Frieden – und übte auf den Pharao Druck aus, die fehlerhaften Propaganda-Inschriften zu korrigieren, die den Hethitern offensichtlich gut bekannt waren.

Manche Experten sind der Ansicht, Ramses III. hätte in den Inschriften Berichte wiedergegeben, die in Wirklichkeit von Merenptah, einem seiner Vorgänger, stammten. Das Datum, das für die wichtigste Seeschlacht gegen die Seevölker genannt wird – das achte Regierungsjahr von Ramses III. –, weicht fast zwanzig Jahre vom tatsächlichen Zeitpunkt ab. Ugarit wurde um 1192 v. Chr. zerstört, während das achte Jahr der Regierungszeit von Ramses III. 1174 gewesen wäre.

LITERATUR

Breasted, James Henry (1906): Ancient records of Egypt historical documents from the earliest times to the Persian conquest, 5 vols. The University of Chicago Press, Chicago.
Eisenlohr, August (1872): Der große Papyrus Harris. Hinrichsche Buchhandlung, Leipzig, 1-38.
Hornung, Erik (2011): Grundzüge der ägyptischen Geschichte. Primus, Darmstadt, 1-174.
Jansen-Winkeln, Karl (2006): “Neues Reich.” http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/11239/