Der Trojanische Krieg als Gegenangriff der Mykener

Laomedon, König von Troja und Vater von Priamos, stirbt im ersten Trojanischen Krieg durch einen Pfeil des Herakles (Ostgiebel des Heiligtums der Aphaia, Glyptothek München).
Verbündete der Trojaner im Trojanischen Krieg nach Homer.
Mit Kreis markiert ist die Ausdehnung des Königreichs Troja nach Homer (Ilias 24.546). Die Punkte zeigen Orte, die laut Homer und anderen Autoren von Achilles zerstört wurden.
Künstlerische Darstellung einer Szene aus dem Trojanischen Krieg. (© Christoph Haußner)
Ein griechischer Krieger verfolgt einen Trojaner, der eine für die Seevölker charakteristische Federkrone als Kopfschmuck trägt. (© Christoph Haußner)

Zahlreiche Hafenstädte im südöstlichen Mittelmeer und schließlich auch das hethitische Reich fielen den Kriegshandlungen, die von den Seevölker-Invasionen ausgingen, zum Opfer. Und doch markierten diese Überfälle nur den Beginn der kulturellen Umbrüche am Ende der Bronzezeit. In Griechenland brachten nachfolgende Generationen den Untergang des heroischen Zeitalters stets mit dem Trojanischen Krieg in Verbindung. Dieser besitzt tatsächlich alle Eigenschaften eines Gegenangriffes der Mykener auf die inzwischen übermächtigen Luwier.

KENNTNISSTAND

Über die Ereignisse in der Zeit nach 1192 v. Chr. sind keine schriftlichen Zeugnisse überliefert. In Hattuša gab es weder einen Großkönig noch Schreiber – und in Ägypten herrschten dynastische Wirren. Die Griechen nutzten ihre Schriftkenntnisse nicht für politische Themen. Das Wenige, was uns über diesen Zeitraum überliefert ist, stammt aus viel später schriftlich festgehaltenen Berichten.

Die nachfolgenden Generationen jedoch beschäftigte der Kultureinbruch am Ende der Bronzezeit viele Jahrhunderte lang. Unter den späteren griechischen Geschichtsschreibern herrschte weitgehende Einigkeit, was das Ende des „heroischen Zeitalters“ verursacht hatte: der Trojanische Krieg. Bei Homer heisst es, seine Vorfahren hätten einem Bündnis gegenüber gestanden, das sich aus Kontingenten von Makedonien in Nordgriechenland über ganz Westkleinasien bis Kilikien erstreckte und sogar von Völkern aus der Schwarzmeerregion Unterstützung erhielt (Ilias 2.816-877). Tatsächlich fügt sich die griechische Erinnerung an den Trojanischen Krieg nahtlos in die archäologisch belegte allgemeine Zerstörungswelle um 1200 v. Chr. ein.

ANREGUNGEN

Ein prophylaktischer Befreiungsschlag

Nach den offenbar in kurzer Zeit errungenen Erfolgen auf Zypern, in Syrien und in Südostkleinasien, der Zerstörung von Hattuša und der Auslöschung der hethitischen Führungsschicht kontrollierten die luwischen Kleinstaaten ein Gebiet, das von Nordgriechenland über ganz Kleinasien bis nach Syrien reichte und in Kanaan an den ägyptischen Herrschaftsbereich grenzte. Die luwischen Angreifer hatten sich auf die zentralistische Führungselite konzentriert, um die hethitische Hegemonie zu zerschlagen. Die agrarische Bevölkerung im Landesinneren – die im Übrigen größtenteils ohnehin Luwisch sprach – dürfte von den Zerstörungen nur am Rande betroffen gewesen sein. Die wirtschaftliche Basis der Region, Landwirtschaft, Handwerk und Abbau von Bodenschätzen, blieb also weitgehend unversehrt. Mitsamt dem riesigen Territorium beherrschten die Luwier nun auch fast alle Erzvorkommen im östlichen Mittelmeerraum, genauso wie die Fernhandelswege zu Land und auf dem Meer.

Allem Anschein nach waren die mykenischen Königreiche auf dem griechischen Festland nicht von den Seevölkern angegriffen worden. Stützpunkte in Westkleinasien hingegen könnten gelitten oder die Seite gewechselt haben. Die Griechen hatten jedenfalls keinen unmittelbaren Anlass, in das Geschehen einzugreifen. Allerdings stand nun sowohl der Zugang zum Schwarzen Meer wie auch die Verbindung über Zypern und Syrien nach Mesopotamien unter luwischer Kontrolle. Betrachtet man zudem die Verteilung der Bodenschätze, des fruchtbaren Ackerlandes, den Lauf der wasserreichsten Flüsse sowie die Handelswege, zeigt sich, dass die Mykener auf lange Zeit mit einer Übermacht konfrontiert sein würden. Um sich nicht vollständig unterwerfen zu müssen, scheinen sie nach reiflicher Überlegung und ausgiebiger Vorbereitung einen Plan entwickelt zu haben, wie sie gegen Westkleinasien anziehen könnten. Homer erzählt, viele griechische Adlige, darunter Odysseus, hätten sich anfänglich geweigert, in diesen Krieg zu ziehen. Nachdem sie schließlich zustimmten, dauerte es noch einmal zwei Jahre, bis die komplette Flotte erstellt war. Mit fast 1200 Schiffen fielen die griechischen Truppen über die Küsten Westkleinasiens her und zerstörten Dutzende luwischer Küstenstädte, lange bevor sie Kurs auf Troja nahmen. Die Luwier konnten unmöglich ein so großes Terrain und darüber hinaus ihre eigenen Heimatstädte erfolgreich verteidigen.

So setzten sich die Zerstörungswellen, die mit den Seevölker-Invasionen begonnen hatten, unter umgekehrtem Vorzeichen fort. Beide Angriffswellen verliefen in die gleiche Richtung von Westen nach Osten; die treibenden Kräfte waren jedoch unterschiedliche Aggressoren mit jeweils unterschiedlichen Motiven. Im Rahmen der Seevölker-Attacken stürmten vereinte Truppen aus Westkleinasien Richtung Syrien. Im Rahmen des Trojanischen Kriegs drangen rund zehn Jahre später vereinte griechische Truppen nach Westkleinasien vor. Der von Homer und anderen antiken Autoren geschilderte Trojanische Krieg war demnach ein Gegenangriff auf die vorausgegangenen Seevölker-Invasionen. Tatsächlich stimmen die trojanischen Kontingente, die Homer in der Ilias beschreibt, mit den Herkunftsgebieten der Seevölker überein, wenn diese ein militärisches Bündnis westanatolischer Kleinstaaten waren. Und damit ist auch die Frage geklärt, warum die Seevölker aus ihrem Sieg keinen Nutzen ziehen konnten und sich beispielsweise nicht dauerhaft in den eroberten Gebieten niederliessen. Viele mussten in ihre Heimatstätten zurückkehren, um sich zu verteidigen.

Die Inschriften von Medinet Habu nennen unter den im Rahmen der Seevölkerunruhen zerstörten Ländern ausdrücklich auch Arzawa – ein Kernland der Luwier im Westen Kleinasiens. Dies ergibt eigentlich keinen Sinn, wenn die Seevölker Luwier waren. Arzawa fiel jedoch nicht den luwischen Seevölker-Invasionen zum Opfer, sondern wurde erst bei den nachfolgenden Gegenangriffen der mykenischen Griechen zerstört. Die ägyptischen Schreiber nahmen es fünfzehn Jahre später mit den tatsächlichen Abläufen nicht mehr so genau. Sie kümmerte es vielleicht auch gar nicht mehr, wer genau wen bekämpft hatte. Schliesslich litten sowohl Hatti als auch Arzawa – so wie man heute sagen würde, dass sowohl Pearl Harbour wie auch Hiroshima dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Da aus Sicht der Ägypter manche zuvor mächtige Gegner und Partner wie vom Erdboden verschluckt waren, hatte Ramses III. leichtes Spiel, in ihrer Niederlage seinen militärischen Triumph zu sehen.

Dass der Überfall der Seevölker auf Ugarit inzwischen auf den Tag genau bestimmt werden kann (21. Januar 1192 v. Chr.), ermöglicht weitere Überlegungen zur Dauer der Krisenjahre. Dares von Phrygien (44), der laut Isidor (1.42) zusammen mit Moses älteste Geschichtsschreiber, macht eine tagesgenaue Zeitangabe: 10 Jahre, 6 Monate und 12 Tage. Laut Homer (Ilias 12.15) dauerte der gesamte Krieg rund zehn Jahre. Eusebius von Caesarea weist die Zerstörung von Troja – und damit das Ende des Konflikts – sehr prominent dem Jahr 1182 v. Chr. zu. Angeblich geschah der entscheidende Angriff, in dem die Stadt Troja schließlich unterging, in der Nacht des siebten Vollmonds. Dieser war am 13. Juli 1182 v. Chr. Sollte diese Angabe stimmen, dann dauerten Seevölker-Invasionen und Trojanischer Krieg zusammengenommen gut 10 Jahre und 6 Monate.

LITERATUR

Abulafia, David (2011): The great sea – A human history of the Mediterranean. Allen Lane, London, 1-783.
Albright, William Foxwell (1950): “Some Oriental Glosses on the Homeric Problem.” American Journal of Archaeology 54, 162-176.
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Huxley, George Leonard (1960): Achaeans and Hittites. Vincent-Baxter, Oxford, 1-54.
Wainwright, Gerald Avery (1961): “Some Sea-Peoples.” The Journal of Egyptian Archaeology 47, 71-90.