Die Invasionen der Seevölker

Die Herkunft der hethitischen Söldner bei der Schlacht von Kadesch. Verschiedene dieser Völker tauchen erneut als Teilnehmer bei den Seevölker-Invasionen auf.
Die meisten feindlichen Krieger in den Darstellungen der Seevölker erscheinen als sogenannte Federkronenträger mit einem charakteristischen Kopfschmuck. (© Rosemary Robertson)
Seevölker-Invasionen am Totentempel Ramses’ III.
Darstellung gefangener Seevölker (Federkronenträger) am Totentempel Ramses’ III. in Medinet in West-Theben.
Die Seevölker lassen sich bis in die Ägäis zurückverfolgen. Offenbar handelte es sich um luwische Kleinstaaten, die ein Bündnis geschlossen hatten und Hatti von Süden her überfielen.

Ab 1250 v. Chr. scheinen sich die Herrscher in Griechenland und Kleinasien auf Kampfhandlungen vorbereitet zu haben. Kurz darauf lief eine Angriffswelle von Westen nach Osten, die schließlich den Untergang des hethitischen Reichs zur Folge hatte. Dieses war zu dem Zeitpunkt keineswegs so übermächtig, wie es heute oft dargestellt wird.

KENNTNISSTAND

Nachdem die Mykener um 1430 v. Chr. den Minoern die Kontrolle über den Seehandel entrissen hatten, folgten auf dem griechischen Festland rund 180 Jahre Prosperität. Ab 1250 v. Chr. machte sich jedoch eine gewisse politische Unruhe bemerkbar. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Kleinasien wurden große Festungen errichtet und alte Residenzen wehrhaft gemacht – möglicherweise in Erwartung bevorstehender Kampfhandlungen.

Kurz darauf breitete sich bei den Anrainern des östlichen Mittelmeers eine Welle der Zerstörung aus, der viele städtische Zentren und insbesondere ihre Paläste zum Opfer fielen. Auf Zypern, in Syrien und Palästina wurden Dutzende von Hafenstädten zerstört. Die Hauptstadt Hattuša wurde scheinbar über Nacht verlassen – und mit ihr kollabierte das hethitische Reich. Doch die eigentlichen Seevölker-Invasionen markierten nur den Anfang der großen Kulturumbrüche. Später ging auch Troja in Flammen auf und war danach trotz teilweisem Wiederaufbau zur Bedeutungslosigkeit verdammt. In Mykene, Tiryns, Pylos und an anderen Orten des griechischen Festlands fielen die Paläste der mykenischen Könige einer allgemeinen Verwüstung zum Opfer.

Die Zerstörungen, die aus den archäologischen Resten sprechen, finden sich auch in Schriftstücken jener Zeit wieder. Bekannt ist der Brief des Königs von Ugarit an den König von Zypern:

Jetzt sind die Schiffe des Feindes eingetroffen. Sie stecken seither meine Städte in Brand und verwüsten das Land. Weiß mein Vater nicht, dass alle meine Fußtruppen und [Streitwagen] in Hatti stationiert sind? Sie sind nicht zurückgekommen, daher liegt das Land darnieder.

RS 20.238, nach Eric Cline 2015, 34

In einer der letzten Inschriften aus Hattuša prahlt Šuppiluliuma II., wie er die Angreifer besiegt habe:

Und mein Vater, ich [machte] mobil. Und das Meer eilends erreichte ich, ich, Suppiluliuma, der Großkönig. Und die Schiffe des Landes Alasija stellten sich mir inmitten des Meeres dreimal zur Schlacht. Und ich vernichtete sie; die Schiffe nämlich ergriff ich, und inmitten des Meeres verbrannte ich sie. Als ich aber zum [Land] hinweg gelangte, da kamen mir die Feinde des Landes Alasija in großer Zahl zur Schlacht entgegen. Und ich bekämpfte sie …

KBo XII 38 (CTH 121) III 1’–13’, nach Gerd Steiner 1962, 131

Am Ende fiel das hethitische Königreich jedoch. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den feindlichen Attacken und dem Untergang der Hethiter ist sehr wahrscheinlich.

ANREGUNGEN

Die luwischen Kleinkönigreiche schließen sich zusammen

Heute werden die politischen Verhältnisse in Kleinasien um 1200 v. Chr. meist in Form einer Karte visualisiert, wonach fast ganz Anatolien dem hethitischen Großkönig entweder direkt oder durch Vasallenverträge unterstellt war. Der Großkönig selbst wäre wohl überglücklich gewesen, wenn dem wirklich so gewesen wäre. Tatsächlich waren das hethitische Kernreich und der Bereich, in dem Hethitisch gesprochen wurde, relativ überschaubar.

Vor allem aber war Hatti stets von Nachbarn umgeben, die ihm tendenziell feindselig gegenüber standen. Gegen Ende des 13. Jh. v. Chr. spitzte sich die Lage zu: Im Norden war das Reich ohnehin permanent von den Horden aus Kaška und Azzi bedroht, die dem Großkönig nie wohlgesinnt waren. Im Osten drängte Mitanni weiter auf hethitisches Terrain vor. Zeitweise ergriffen seine Truppen die Kontrolle über die wichtigen Kupferlagerstätten von Ergani Maden in Išuwa nahe dem oberen Euphrat. Im Süden fiel Kizzuwatna, seit Generationen ein ergebener Vasall, vom Großreich ab und nahm eine offen feindliche Haltung ein. Im Westen schließlich musste der hethitische Großkönig sogar erstmals eine Art leitenden Vasallen einsetzen, der die Kleinkönigreiche koordinieren und kontrollieren sollte. Diese Aufgabe könnte dem König von Mira zugefallen sein, dem damals größten und einflussreichsten Land westlich von Hatti. Solange dieses Oberhaupt und seine Satelliten-Kleinkönigreiche dem Großkönig Gefolgschaft leisteten, war die Situation unter Kontrolle. Wandte sich der leitende Vasall jedoch gegen seinen Herrn, hätte das hethitische Reich sämtliche Kleinstaaten im Westen Kleinasiens gegen sich. Und genau so kam es wohl auch.

Den Ausschlag für die Aufkündigung der Gefolgschaft gab vermutlich die hethitische Eroberung Zyperns. Der Großkönig Tuthalija IV. überfiel die Insel unerwartet, wahrscheinlich um an ihre Kupfervorräte zu gelangen. Zum ersten Mal setzte er dabei Schiffe ein. Die luwischen Königreiche waren jedoch auf die Anlaufstellen auf Zypern angewiesen, um einen funktionierenden Fernhandel sicherzustellen. Dem hethitischen Großreich fühlten sie sich hingegen selten treu ergeben, selbst wenn sie teil- und zeitweise Vasallen waren. Mit der Eroberung Zyperns war Hatti zu weit gegangen. Auf sich allein gestellt hätte keiner der Kleinstaaten den Truppen des Großkönigs die Stirn bieten können. Zusammen jedoch hatten sie durchaus eine Chance, sich gegen die Unterdrückung zur Wehr zu setzen.

So schlossen sich die Luwier im Westen Kleinasiens zu einem Militärbündnis zusammen und bauten kurzerhand eine Flotte aus schnellen, wendigen Invasionsschiffen. Statt wie bisher auf dem Landweg gegen Hatti zu stürmen, drangen sie nun auf dem Seeweg in Windeseile zu den wichtigen hethitischen Randgebieten Zypern und Syrien vor. Scheinbar über Nacht waren aus den lange bekannten Söldnerheeren der Lukker und Serden marine Streitkräfte geworden, die obendrein nicht für den hethitischen Großkönig, sondern in eigener Sache kämpften – das waren die mysteriösen Seevölker.

In Hatti führte inzwischen Šuppiluliuma II. die Regierungsgeschäfte. Er sah sich im Süden einer großen, gut vorbereiteten Angriffswelle ausgesetzt, auf die er kaum vorbereitet sein konnte. Zum ersten Mal in der hethitischen Geschichte musste er sich in Seeschlachten zur Wehr setzen, und zwar gleich dreimal. Vermutlich verliefen diese unentschieden, denn im Anschluss daran standen sich die beiden Gegner auch an Land gegenüber. Gleichzeitig erhielten die luwischen Seevölker Unterstützung aus der Schwarzmeerregion: Von Norden her rollte eine Welle der Zerstörung auf Hattuša zu. Die Kaškäer nutzten die Abwesenheit der hethitischen Heere und bahnten sich eine Schneise zur Hauptstadt. Als sie dort ankamen, war die Stadt bereits verlassen: Die Rauchsäulen am Horizont hatten wohl die Einwohner gewarnt. Sie waren geflüchtet und hatten mitgenommen, was tragbar war. Die Eroberer konnten nur noch symbolisch einige Tempel und Regierungsgebäude in Brand setzen.

Natürlich erfuhren die hethitischen Truppen im Süden von der Einnahme der Hauptstadt. Irgendwo auf dem Schlachtfeld muss dann der Großkönig gefallen sein, woraufhin die Söldner ihren Kampfgeist verloren. So endete die hethitische Vorherrschaft über Zentralkleinasien nach gut vierhundert Jahren relativ unspektakulär, aber für alle Zeiten. Es sollte 3000 Jahre dauern, bis man erstmals wieder von diesem einst so mächtigen Reich hörte.

LITERATUR

Bryce, Trevor (2005): The Kingdom of the Hittites. Oxford University Press, Oxford, 1-554.
Bryce, Trevor (2011): “The Late Bronze Age in the West and the Aegean.” In: The Oxford Handbook of Ancient Anatolia 10,000-323 B.C.E. Sharon R. Steadman & Gregory McMahon (eds.), Oxford University Press, New York, 363-375.
Faulkner, R. O. (1975): “Egypt: From the Inception of the Nineteenth Dynasty to the Death of Ramesses III.” Cambridge Ancient History 2, Cambridge University Press, Cambridge, 217-251.
Heinhold-Krahmer, Susanne (1977): Arzawa – Untersuchungen zu seiner Geschichte nach den hethitischen Quellen. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg, 1-473.
Hölbl, Günther (1983): “Die historischen Aussagen der ägyptischen Seevölkerinschriften.” In: Griechenland, die Ägäis und die Levante während der “Dark Ages” vom 12. bis zum 9. Jh. v. Chr. Sigrid Deger-Jalkotzky (ed.), Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philologisch-historische Klasse, Wien, 121-143.
Singer, Itamar (2011): The Calm before the Storm. Society of Biblical Literature, Atlanta, Georgia, 1-766.
Yakubovich, Ilya S. (2010): Sociolinguistics of the Luvian language. Brill’s studies in Indo-European languages & linguistics, Brill, Leiden, 1-454.
Yasur-Landau, Assaf (2010): “Levant.” In: The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean. Eric H. Cline (ed.), Oxford University Press, Oxford, 832-848.