Die Linear-A-Schrift

Eine Linear-A-Tafel aus Kato Zakros auf Kreta.
Tontafel mit kretischen Hieroglyphen aus Phaistos (Spätminoisch I).
Kypro-Minoisch ist eine unentzifferte Silbenschrift aus der Spätbronzezeit auf Zypern.

Die Linear-A-Schrift entwickelte sich aus der kretischen Hieroglyphenschrift und war von ca. 1635 bis 1450 v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum weit verbreitet. Beide Schriften konnten bis heute nicht entziffert werden, und es ist noch immer unklar, um welche Sprache es sich handelt. Es gibt Hinweise darauf, dass Sprache und Schrift luwischen Ursprungs sein könnten – diese Thesen konnten allerdings bis heute mangels Funden nicht ausreichend belegt werden.

KENNTNISSTAND

Ab dem 20. Jh. v. Chr. tritt auf Kreta eine Hieroglyphenschrift auf, die bis ins 15. Jh. v. Chr. gebräuchlich blieb und aus der sich später die sogenannte Linear-A-Schrift entwickelte. Kretische Hieroglyphen sind von rund 150 Siegeln und Siegelabdrücken sowie von ca. 120 weiteren Dokumenten, vor allem Archivinschriften, bekannt. Die Dokumente stammen von den Fundstätten in Malia, Knossos und Petras. Außerhalb von Kreta ist die Hieroglyphenschrift bisher nur auf der Insel Samothraki im Nordosten der Ägäis gefunden worden. Die 137 Zeichen der kretischen Hieroglyphenschrift sind piktografisch. Es handelt sich mit großer Sicherheit um eine Silbenschrift, die allerdings bis heute nicht entziffert werden konnte.

Die Linear-A-Schrift war von ca. 1635 bis 1450 v. Chr. gebräuchlich und im östlichen Mittelmeerraum weit verbreitet. Sie besteht aus 70 Silbenzeichen, diversen Zahlzeichen und 200 Zeichen mit Wortbedeutung. Die erhaltenen Dokumente sind auf Tontäfelchen eingeritzte Notizen, die vermutlich der Verwaltung dienten. Neben über 30 Fundpunkten auf Kreta (darunter Knossos, Phaistos, Chania) finden sich Objekte mit Linear A auf dem griechischen Festland (Mykene, Tiryns), in Palästina (Lachisch, Tel Haror), in Ägypten (Auaris), auf Kythera, den Kykladen und Samothraki wie auch in Westkleinasien (Milet). Aus Linear A entwickelten sich später die an das Griechische angepasste Linear-B-Schrift sowie die kypro-minoische Schrift. Da Letztere Silbenschriften sind, wird davon ausgegangen, dass es sich bei Linear A ebenfalls um eine Silbenschrift handelt.

ANREGUNGEN

Griechisch-luwische Beziehungen

Im Jahr 1961 veröffentliche der britische Sprachwissenschaftler Leonard Robert Palmer, Professor an der Oxford University und Präsident der Britischen Philologischen Gesellschaft, ein Buch mit dem Titel Mycenaeans and Minoans, in dem er die vorausgegangene Entzifferung des Hieroglypenluwisch zu Rückschlüssen auf die Ägäische Frühgeschichte nutzte. Er vertritt dabei die Ansicht, dass Linear A die luwische Sprache wiedergibt. Eine weitere seiner Kernaussagen ist, dass luwische Bevölkerungsgruppen im 3. Jt. v. Chr. in Griechenland eingedrungen seien und dabei auch ihre Sprache einführten. Dieses Modell geht ursprünglich auf den deutschen Linguisten Paul Kretschmer und seine Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache von 1896 zurück. Kretschmer hatte erkannt, dass Ortsnamen mit den Endungen -nthos (wie Tirynthos) und -assos (wie Parnassos) vorgriechischen Ursprungs sind. Carl Blegen, von 1932 bis 1938 Ausgräber von Troja, griff diese Theorie gemeinsam mit dem Linguisten J. B. Haley 1928 in einem Artikel „The Coming of the Greeks“ ebenfalls auf.

Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass sich luwische Begriffe bis heute in der griechischen Sprache erhalten haben – insbesondere in Ortsnamen, die bekanntlich besonders langlebig sind. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass sowohl die kretische Hieroglyphenschrift wie auch die Linear-A-Schrift einen Bezug zum westlichen Kleinasien hatten. Da bis jetzt nur wenige Ausgrabungen in den entsprechenden Schichten des 16. bis 13 Jh. v. Chr. durchgeführt wurden, bleiben diese Annahmen bis auf weiteres Hypothesen.

LITERATUR

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Palmer, Leonard R. (1961): Mycenaeans and Minoans. Faber and Faber, London, 1-264.
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