Interview mit Eberhard Zangger zum „Spiegel“-Artikel „Schrumpliger Luftballon“

Lange Zeit hatte man den Eindruck, die „Spiegel“-Redaktion sei von Ihren Thesen rund um Troja und die Luwier vorbehaltlos begeistert. Nun hat Frank Thadeusz im Zusammenhang mit James Mellaarts Fälschungen, die Sie selber bis vor kurzem für echt hielten, einen geradezu vernichtenden Artikel über Sie publiziert. Was ist da geschehen?

Da kommen meines Erachtens mehrere Faktoren zusammen. Zunächst verknüpfen Journalisten ihren Stoff gern mit Personen. Wenn es um die Luwier geht, liegt es leider nahe, etwas über mich zu schreiben. Je spektakulärer die Geschichte, desto besser – im Positiven wie im Negativen. Hinzu kommt, dass Matthias Schulz, der sich 25 Jahre lang intensiv mit meiner Arbeit beschäftigt hatte, in den Ruhestand geschickt und durch einen jungen Redakteur ersetzt wurde, der mit den Hintergründen nicht vertraut ist und vermutlich auch keine Zeit hat, sich in ein Thema einzuarbeiten. Und schließlich forderte Frank Thadeusz, dass ich ihm das Material aus James Mellaarts Arbeitszimmer exklusiv überlasse – vier Wochen bevor jemand anders informiert würde. Das ging natürlich nicht. Zum einen lag die Meldung bereits bei den Nachrichtenagenturen zum Versand bereit, und zum andern sind zahlreiche Forscher in dieses Projekt involviert, von denen man unmöglich hätte verlangen können, dass sie vier Wochen lang so tun, als ob nichts wäre.

Frank Thadeusz schreibt, Sie hätten James Mellaart in Ihrem letzten Buch ein „hymnisches Kapitel“ gewidmet. Stimmt das?

Ich war von James Mellaart genauso begeistert wie von allen anderen Pionieren der anatolischen Frühgeschichte, die ich in meinem Buch porträtierte. Das war ich immer noch, als ich am 24. Februar in London eintraf. Im Rahmen meiner Recherchen für mein Buch hatte ich mich ausführlich mit den Vorwürfen beschäftigt, Mellaart hätte Dinge erfunden. Alle offiziellen Untersuchungen hatten ihn jedoch vollständig entlastet. Dazu zählte die Arbeit der polizeilichen Untersuchungskommission in Izmir im Rahmen der Dorak-Affäre wie auch die eines Untersuchungsausschusses des Britischen Instituts in Ankara. Auch die Recherchen von zwei investigativen Journalisten führten zu einem positiven Urteil. Außerdem hat James Mellaart quasi im Alleingang das Neolithikum in Anatolien entdeckt und wichtige Fundstätten ausgegraben. Ich hatte großen Respekt für seine Leistungen, und was die Fälschungsvorwürfe betrifft, galt aus meiner Sicht die Unschuldsvermutung.

Jetzt zitiert Sie Frank Thadeusz mit den Worten: „Ich habe einfach von Mellaart die Nase voll.“ Machen Sie es sich damit nicht zu einfach?

Der Satz ist natürlich komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Ich sprach mit Frank Thadeusz davon, dass die Sache ja auch faszinierende Aspekte habe: Da sitzt ein kluger Entdecker jahrzehntelang in seinem Studierzimmer und saugt die neuesten Erkenntnisse aus seinem Fachgebiet auf, um daraus Geschichten zu machen, die er dann als Übersetzungen von verschollenen Inschriften ausgibt. Allein der Inhalt der unveröffentlichten Manuskripte ist packend und manchmal geradezu hellseherisch. Natürlich ist es eine verlockende Aufgabe, diese Texte zu publizieren. Aber dieser Aufgabe wird sich wohl jemand anderes widmen, denn ich habe bis auf weiteres die Nase von Mellaart voll – das waren ungefähr meine Worte am Telefon, kurz nachdem ich maßlos enttäuscht und erschöpft aus London zurückgekehrt war.

Die Hethitologin Annick Payne sagt, es sei nicht wissenschaftlich, die Existenz der Inschrift des Großkönigs Kupanta-Kurunta aus einer bloßen Zeichnung eines Mannes wie Mellaart als gesichert anzunehmen. Wie stehen Sie dazu?

Das sehe ich genauso. Das haben wir auch nie getan.

Wie steht es denn um die große luwische Hieroglypheninschrift aus Beyköy? Ist sie echt oder nicht?

Das wissen wir nicht. In Mellaarts Arbeitszimmer haben wir keine Entwürfe oder sonstigen Hinweise auf eine Fälschung dieser Inschrift gefunden; der Vorwurf, eine Fälscherwerkstatt betrieben zu haben, bezieht sich auf andere Dokumente. In der Veröffentlichung der luwischen Hieroglypheninschrift im Dezember letzten Jahres haben der niederländische Linguist Fred Woudhuizen und ich Argumente aufgelistet, die für und gegen die Authentizität dieses Dokuments sprechen. Wir sind dabei zum Urteil gekommen, dass die Argumente für dessen Echtheit überwiegen. Es gibt heute keine neuen Erkenntnisse, und Fred Woudhuizen geht weiterhin davon aus, dass die Hieroglypheninschrift echt ist. Aber man ist natürlich noch skeptischer geworden. Ich möchte mir dazu kein Urteil erlauben.

Max Gander hält Ihre Arbeitsweise für „methodisch fragwürdig“. Das ist ein heftiger Vorwurf.

… auf den ich nur schwer etwas entgegnen kann, solange er ihn nicht konkretisiert oder begründet. Ist es methodisch korrekt, die Zeichnung dieser Inschrift dreißig Jahre lang in Schubladen versteckt zu halten? Verschiedene Fachleute kannten die Abschrift nämlich mindestens seit 1989. Als sich herumsprach, dass Fred Woudhuizen und ich dabei sind, diese Zeichnung zu publizieren, wurde uns mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht. Sind das die akzeptierten Methoden in der Altertumskunde? Durch unsere Publikation kann dieses Dokument nun erstmals von allen Experten beurteilt werden.

Ist Ihre Theorie der Luwier nun widerlegt, wie Frank Thadeusz schreibt?

Keineswegs. Es ist übrigens auch nicht meine eigene Theorie: Die Diskussion über die Luwier ist inzwischen rund hundert Jahre alt, und es liegen verschiedene Lehrbücher zu diesem Thema vor. Ich bin wohl zurzeit so eine Art Botschafter der Luwier, in Zukunft wird es auch andere geben. Das Material aus Mellaarts Nachlass habe ich erst vor neun Monaten erhalten. Es hätte, wenn es denn echt gewesen wäre, die Luwier-Theorie untermauert. Dass vieles davon offensichtlich gefälscht ist, ändert aber nichts an der bisherigen Forschung zu dem Thema.

Welche Auswirkungen hat die Erkenntnis, dass Mellaart ein Fälscher war, auf Ihre Stiftung Luwian Studies, die sich Untersuchung des 2. Jahrtausends v.Chr. in Westkleinasien verschrieben hat?

Es wäre natürlich großartig gewesen, wenn es die keilschriftlichen Bronzetafeln aus Beyköy tatsächlich gegeben hätte. Nun fehlt uns nach wie vor eine Geschichte des bronzezeitlichen Kleinasiens. Unsicher ist, wie gesagt, die Authentizität der luwischen Hieroglypheninschrift. Das alles ändert allerdings nichts daran, dass ein großer Teil der Bevölkerung Anatoliens im 2. Jahrtausend v.Chr. Luwisch sprach – und dass diese Bevölkerungsgruppen in ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung wenig erforscht sind. Meine Erkenntnisse aus 28 Jahren Beschäftigung mit diesem Thema behalten ihre Berechtigung. Auch die acht Artikel aus der Feder des „Spiegel“-Redakteurs Matthias Schulz sind weiterhin lesenswert. Es wäre sehr schade, wenn Frank Thadeusz die ganze Arbeit mit einem einzigen Beitrag zunichte gemacht hätte. Offen gesagt, verstehe ich auch seine Motivation nicht.

Halten Sie sich für ein Genie?

Natürlich nicht. Was sind denn meine wichtigsten Aussagen der letzten dreißig Jahre? Erstens: Nicht nur auf dem Burghügel von Troja, sondern auch fünfhundert Meter westlich davon gibt es bronzezeitliche Siedlungsschichten. Zweitens: Selbst wenn der Trojanische Krieg die Erfindung eines Dichters wäre, müsste es auf der östlichen Seite der Ägäis den Griechen ebenbürtige Gegner gegeben haben. Drittens: Im Westen Kleinasiens gibt es Hunderte von Siedlungsplätzen, die archäologisch noch nicht erforscht wurden. Diese Einsichten sind eigentlich ziemlich banal und die ganze Aufregung nicht wert.

Wie geht es weiter?

Wir stehen immer noch an der gleichen Stelle: Ohne Dokumente – echte Dokumente, die man in die Hand nehmen kann – kommen wir kaum weiter. Wir sind darauf angewiesen, dass die türkische Regierung den Kuratoren der archäologischen Sammlungen erlaubt, das eine oder andere bisher unveröffentlichte Dokument zu zeigen. Sobald dies geschieht, wird es spannend.

Und mit der Geschichte von Mellaarts Fälscherwerkstatt?

Ich gehe davon aus, dass die Texte Mellaarts eines Tages als Buch erscheinen.

 

» Ein Artikel zum gleichen Thema erschien online bei Live Science.