Aus den jüngsten Zeitungsartikeln erhält man den Eindruck, dass Journalisten Ihrem Buch tendenziell positiv gegenüberstehen, während es Fachleute kritisch beurteilen. Wie erklären Sie sich das?
Die Journalisten haben das Buch bekommen, darin gelesen, das Video meines Vortrags angeschaut und meistens auch ausführlich mit mir telefoniert. Nichts deutet darauf hin, dass jemand der bisher konsultierten Fachleute das Buch gesehen, geschweige denn darin gelesen hat. Ich gehe davon aus, dass diese Fachleute auf ihre wissenschaftliche Sorgfalt und Gründlichkeit stolz sind. Dessen ungeachtet scheuen sie sich nicht, ihre aus der Lektüre von Zeitungsartikeln hervorgegangenen Vorurteile und Bauchgefühle in die Öffentlichkeit zu tragen.
In wenigen Worten, worum geht es Ihnen wirklich?
Erstens darum, dass die Mittel- und Spätbronzezeit in Westkleinasien im Vergleich zu Griechenland, Kreta und Zentralkleinasien zu wenig erforscht ist. Zweitens darum, dass man eine so große Region nur durch die Kombination von bereits vorhandenem archäologischen Wissen und modernen naturwissenschaftlichen Methoden erfassen kann. Drittens darum, dass man die geschichtlichen Abläufe wohl kaum verstehen wird, indem man sie in ihre Einzelteile zerlegt. Stattdessen müssen wir die uns verfügbaren Quellen, also die Dokumente und den archäologischen Befund, zusammen betrachten. Es geht auch darum, ausgesprochen komplexe Themen verständlicher zu machen, zum Beispiel indem man sie geschickt illustriert. Und es geht darum, Anregungen für zukünftige Untersuchungen zu liefern.
Laut den Zeitungsartikeln sprechen Sie von einer Großmacht, die bisher übersehen wurde. Stimmt das?
Nein, davon kann überhaupt gar keine Rede sein. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie der Begriff Großmacht in die Berichterstattung gekommen ist, in meinem Buch findet er sich nur einmal in einem Zitat aus dem Jahr 1946. Meines Erachtens gab es am Ende der Bronzezeit keine Großmächte im östlichen Mittelmeerraum. Die meisten Regionen waren in Form von Kleinkönigreichen organisiert und daher politisch zerstückelt. Das gilt sicher für Griechenland, Syrien, Kanaan und auch für Westkleinasien. Bestenfalls waren diese Regionen vorübergehend föderalistisch organisiert. In diesen Zeiten hing ihre politische und militärische Macht davon ab, wie viel Gewalt bei den einzelnen Fürsten und wie viel beim tonangebenden Herrscher lag.
Michael Galaty sagt, dass ein militärischer Zusammenschluss internationaler Kriegsführung entspräche und dass es dafür am Ende der Bronzezeit keine Anzeichen gibt. Wie sehen Sie das?
Unsere Informationen über die politische und militärische Organisation stammen eigentlich komplett aus den Dokumenten der damaligen Zeit und aus späteren Texten, die sich auf das heroische Zeitalter beziehen. Diesen Dokumenten zufolge gab es häufig militärische Allianzen und auch Konföderationen. Die sogenannten Seevölker-Inschriften führen ja ausdrücklich die einzelnen an den Überfällen beteiligten Stämme auf. Wir erfahren in den Inschriften über die Schlacht von Kadesch, wer dem hethitischen Großkönig Muwatalli II. zur Seite stand. Wir kennen das Aššuwa-Bündnis aus der Zeit um 1400 v. Chr., in dem sich 22 Kleinstaaten in Westkleinasien zusammengeschlossen hatten. Es gibt auch verschiedene Texte aus Hattuša, in denen der Großkönig Bündnisse erwähnt, die sich gegen ihn formierten. Schließlich haben wir auch den Schiffskatalog und die Auflistung der trojanischen Kontingente in der Ilias, wo im Detail aufgeführt ist, wie sich die Heere zu beiden Seiten der Ägäis zusammensetzten. Dies sind aber nur die bekanntesten Quellen für militärische Bündnisse. Es gibt noch viele weitere.
Handelte es sich bei den Luwiern tatsächlich um ein bisher übersehenes Volk?
Meines Erachtens nicht, jedenfalls war es nicht meine Intention, so etwas zu behaupten. Ich spreche ausdrücklich nicht von Ethnie, sondern von der Jurisdiktion. Es geht nicht um den Begriff Volk, sondern um die Region. Nicht das Volk der Luwier ist zu wenig erforscht, sondern die Region Westkleinasien, unabhängig davon, welcher Ethnie die damaligen Einwohner zugeordnet werden können.
Jörg Klinger sagt, von einem geschlossenen Volk auszugehen entspreche der Denkweise von vor hundert Jahren. Wie sehen Sie das?
Das sehe ich genauso. Um die Kommunikation zu erleichtern, hat man vor rund hundert Jahren Begriffe eingeführt wie die Mykener, die Minoer und die Hethiter. Heute wissen wir, dass diese Begriffe irreführend sind. Achilles, wenn es ihn denn gegeben hätte, würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn man ihn als Mykener bezeichnen würde. Diese Denkweise ist tatsächlich veraltet – was Jörg Klinger allerdings nicht davon abgehalten hat, ein Buch mit dem Titel «Die Hethiter» zu verfassen. Das Problem ist, dass sich die Ägäische Frühgeschichte heute noch weitgehend der Denkmodelle von vor hundert Jahren bedient. In diesen Modellen klafft eine große Lücke in Westkleinasien. Bisher hat man diese Lücke zu schließen versucht, in dem man die Einflussbereiche der mykenischen und der hethitischen Könige immer weiter ausdehnte. Ich hätte die Akzeptanz meiner Grundthese erleichtert, wenn ich von «westkleinasiatischen Staaten» gesprochen hätte. Da die Begriffe Mykener, Minoer und Hethiter etabliert und gebräuchlich sind, habe ich der Einfachheit halber die Menschen, die damals Westkleinasien lebten, als Luwier bezeichnet. Es bleibt aber ein abstrakter, vereinfachender Begriff und keine ethnische Bezeichnung. Dies wird in meinen Publikationen überaus deutlich gemacht.
Es heißt, Sie kritisieren die etablierte Archäologie. Stimmt das?
Ganz eindeutig kritisiere ich die Modelle, die vor hundert Jahren herrschten, als die Ägäische Frühgeschichte definiert wurde. Meines Wissens machen das aber eigentlich alle Archäologen. Die derzeitige Diskussion findet allerdings auf einem dermaßen tiefen Niveau statt, dass Kritik an der archäologischen Methodik – deswegen – nun zwingend erforderlich wird. Die Oberflächlichkeit und die Verzerrungen in den Medien sorgen dafür, dass Leute, die in ihrem Urteil der Archäologie bisher wohlwollend gegenüberstanden, jetzt tendenziell eher kritisch sein werden. Wir haben eine vergleichbare Entwicklung beim Troja-Streit erlebt. Der Archäologie fehlt im deutschsprachigen Raum offensichtlich eine Kultur, bei der auf Augenhöhe debattiert wird, ohne sich persönlich zu verletzen.
Wie ist es im Falle Ihres Buches zu der Polarisierung gekommen?
Rekapitulieren wir den Prozess. Ein Buch kommt auf den Markt. Der Autor sendet einem Wissenschaftsjournalisten ein Exemplar. Der Wissenschaftsjournalist wählt aus den vielen im Buch angesprochenen Aspekten ein Thema aus, das ihm für ein großes Publikum möglichst interessant erscheint. In seiner Berichterstattung dreht sich dann alles nur noch um dieses eine Thema, obwohl es für den Autor vielleicht von völlig untergeordneter Bedeutung war. Damit die Sache Leser findet, wird sie spektakulär aufgebauscht und zum Nullten Weltkrieg erklärt. So wird der Bericht zur Karikatur dessen, was das Buch eigentlich sagen wollte. Diese Karikatur wird jetzt Fachleuten vorgehalten, die weder den Autor noch seine bisherigen Publikationen kennen und das aktuelle Buch noch nie in Händen gehalten haben. Von den Fachleuten wird erwartet, dass sie sich möglichst differenziert zu etwas äußern, was offensichtlich nur eine Fratze ist. Zwangsläufig ist ihr Kommentar vernichtend. Sie bemerken dabei gar nicht, dass ihre Vorgehensweise und die Qualität ihrer Kommentare letztlich noch weniger Substanz haben und angreifbarer sind als das eigentliche Objekt ihrer Kritik. Es ist erschreckend, auf welch tiefem Niveau sich die wissenschaftliche Dialektik befindet. Trost verschafft einem allenfalls die Erkenntnis, dass dies in den letzten hundert Jahren zu allen Zeiten so war. Den Forschern, denen wir die wichtigsten Entdeckungen in der Archäologie Kleinasiens verdanken, haben deren Kollegen das Leben schon immer sehr schwer gemacht.
Wie geht es weiter?
Die Naturwissenschaften halten Einzug in die Archäologie, daran führt kein Weg vorbei. Was wir zurzeit sehen, ist ein Aufbäumen von Autoritäten, die, so wie einst Manfred Korfmann, das Interpretationsmonopol für ihre Fundstätte bzw. für ihr definiertes Themengebiet beanspruchen. Sie sind die Vertreter einer Gesellschaft, die im Sinne des Obrigkeitsstaats hierarchisch organisiert ist. In vielen Teilen der Gesellschaft haben wir gesehen, wie diese Denkweise durch den Verhandlungsstaat ersetzt wurde, in dem letztlich die Qualität und Überzeugungskraft der Argumente entscheidet. So wird es auch in der Archäologie sein. Die Platzhirsche sterben aus, wie die Industriebarone der 1960er Jahre. Ersetzt werden sie durch Technokraten und Pragmatiker, die möglichst effizient und effektiv echte Lösungen für die anstehenden Probleme entwickeln.
Ihr Fazit?
Mein Buch schließt mit der Aufforderung: Grabt – und bitte, grabt tiefer! Das würde ich heute ergänzen mit: Lest! Und bitte, lest mehr und genauer!