Johannes Malalas’ griechischsprachige Weltchronik, die im 6. Jh. n. Chr. entstand, bot nicht nur Information, sondern auch Unterhaltung und erfreute sich lange Zeit großer Beliebtheit. Historiker kritisierten das Werk, weil Malalas Tatsachen und Fiktion vermischte und keine seiner Quellen nannte. Dennoch sind manche seiner Schilderungen durchaus plausibel und liefern wertvolle Anregungen.
KENNTNISSTAND
Johannes Malalas war ein oströmischer Historiker der ausgehenden Spätantike. Er wurde um 490 in Antiochia am Orontes in Syrien geboren und war dort sehr wahrscheinlich in der Reichsverwaltung oder als Rechtsgelehrter im Dienst des antiochenischen Patriarchen tätig. Bald nach dem katastrophalen Erdbeben, das sich 526 in Antiochia ereignete, zog Malalas nach Konstantinopel ins Zentrum des Oströmischen Reiches; dort starb er auch im Alter von rund 80 Jahren. Der Name Malalas ist syrisch und steht für Rhetor.
Johannes ist der Verfasser der ältesten fast vollständig erhaltenen griechischsprachigen Weltchronik in achtzehn Büchern. Die Haupthandschrift aus dem 12. Jh. ist teilweise beschädigt und enthält einen bereits bearbeiteten und nicht mehr vollständigen Text. Das Werk erfreute sich großer Beliebtheit und fand noch Jahrhunderte später viele Nachahmer. Malalas’ Darstellungen zielen auch auf Unterhaltung. Er schreibt in einem verständlichen Griechisch, das sich der spätantiken Volkssprache annäherte. In seiner bunten Geschichte stehen historisches und mythologisches Material gleichwertig nebeneinander, ohne dass er Quellen nennen würde. Die historische Forschung hat das Werk von Johannes Malalas deswegen über lange Zeit sehr kritisch betrachtet und teilweise aufgrund mangelnder inhaltlicher Durchdringung des Quellmaterials als unzulänglich angesehen.
ANREGUNGEN
Tros errichte zwei Städte: Troja und Ilion
Es kann nicht deutlich genug gesagt sein: Keine Quelle kann als historisch exakt betrachtet werden, egal ob es die Chronik eines oströmischen Historikers, ein Hexameter bei Homer oder eine altägyptische Tempelinschrift ist. Aufschlussreich werden die Angaben in den antiken Texten erst dann, wenn sie im Befund archäologischer Ausgrabungen eine Entsprechung finden. Selbst dann liefern die Dokumente noch keine historische „Wahrheit“; sie können jedoch legitime Anregungen für weitere Forschung und mögliche Interpretationsszenarien liefern.
In den Grabungen auf Kreta, die seit 1900 durchgeführt werden, findet sich ein nahezu flächendeckender Zerstörungshorizont am Ende der Neupalastzeit um 1430 v. Chr. Die Paläste wurden verwüstet und in Brand gesetzt, offenbar durch mykenische Festlandgriechen, die Kreta eroberten. Bemerkenswert ist, dass die Zentren zuvor offensichtlich verlassen worden waren und dass die Flüchtenden dabei viele wertvolle transportable Güter mitgenommen hatten. Lange wurde bezweifelt, dass es den Griechen allein möglich gewesen wäre, die ganze Insel Kreta zu erobern. Johannes Malalas liefert allerdings eine überraschende Erklärung für den scheinbar widerstandslosen Vormarsch der Griechen: Er sagt, der kretische König Minos hätte einen unehelichen Sohn namens Minotaur gehabt, der seinem berühmten Vater auf den Thron folgen sollte. Die anderen Kleinkönige der Insel betrachteten die Herrschaft eines „Bastards“ jedoch als Ehrenkränkung und schmiedeten daher ein Komplott. Sie luden Theseus, den König des nördlichsten mykenischen Königreichs Thessalien, ein, gegen Minos’ Nachfolger zu kämpfen. Im Falle eines Sieges würden sie ihm nicht nur diesen, sondern gleich das ganze Land kampflos überlassen. „Also ging Theseus umgehend nach Kreta, um Minotaur anzugreifen, während alle Könige und die Armee Minotaur preisgaben und in die Stadt Gortyn flohen“ (4.23).
Sollten sich die Ereignisse tatsächlich so oder so ähnlich zugetragen haben, dürfte die freiwillige Kapitulation der minoischen Kleinkönige eine der dümmsten strategischen Entscheidungen der Weltgeschichte gewesen sein. Die minoische Herrschaft über den Seehandel war damit passé.
Malalas bietet noch einige weitere aufschlussreiche Hinweise. Er sagt zum Beispiel (4.12), dass die Mykener durch den Hellespont fuhren und plötzlich vom König der Region angegriffen wurden. Es gab eine Seeschlacht, in deren Verlauf der anatolische Angreifer starb. Die Griechen stürmten daraufhin auch dessen Metropole (möglicherweise das am Nordufer der Dardanellen gelegene Maidos). Viele mittelalterliche Autoren sehen in diesem Zwischenfall den eigentlichen Auslöser des Streits zwischen Griechen und Trojanern.
Malalas schreibt weiter, dass sich das Königreich Troja über ganz Phrygien erstreckte:
Zu der damaligen Zeit herrschte Tros, der Vater von Ilos und Ganymed, über Phrygien. Er errichtete zwei Städte, eine hieß nach ihm selbst Troja, die andere hieß Ilion nach seinem älteren Sohn. Als er die Mauern der Städte fertiggestellt hatte, versammelte er alle Kleinkönige des Landes Europa, außer Tantalos, den König des Landes der Mykener.
Malalas, 4.15
Wer sich gern durch antike Geschichtsschreibung inspirieren lässt, der mag hier einen Anklang an das Aššuwa-Bündnis oder an die trojanischen Kontingente in der Ilias erkennen, deren Territorien sich bis an den Axios in Makedonien erstreckten. Man könnte auch eine Bestätigung dafür sehen, dass es neben der Festung „Ilion“ auf Hisarlık eine Stadt „Troja“ gab.