Kleinstaaten in Westkleinasien

Beyköy ist eine besonders vielversprechende Tellsiedlung nördlich von Afyonkarahisar.
Dieser Quarzitblock aus dem Totentempel von Amenophis III. könnte links einen Luwier zeigen.
Die luwischen Kleinstaaten (rot) zwischen dem mykenischen Griechenland und dem hethitischen Zentralkleinasien sind dank der Dokumente aus Hattuša gut bekannt.
Die luwischen Kleinstaaten (rot) zwischen dem mykenischen Griechenland und dem hethitischen Zentralkleinasien sind dank der Dokumente aus Hattuša gut bekannt.

Aus Schriftdokumenten wissen wir heute, dass es in der Spätbronzezeit in Westkleinasien rund zwei Dutzend größere und kleinere Königreiche gab. Manche von ihnen waren zumindest zeitweise Vasallenstaaten der Hethiter. Die größte Ausdehnung des hethitischen Reichs (einschließlich seiner Vasallen), wie sie auf den meisten heutigen Karten dargestellt wird, bestand jedoch nur während kurzer Zeit und war keineswegs stabil. Die verbreitete Darstellung eines fast ganz Kleinasien umfassenden hethitischen Großreichs ist daher irreführend.

KENNTNISSTAND

Die westlichen Nachbarn der Hethiter sind dem Namen nach gut bekannt. Der Begriff Luwiya, der in hethitischen Dokumenten auftaucht, verschwindet jedoch bald. An seine Stelle tritt mehr oder weniger synonym der Name des einflussreichsten luwischen Königreichs: Arzawa. Letzteres bestand im Wesentlichen aus Wiluša, Šeha, Mira, Hapalla und Arzawa im engeren Sinn. Das Kerngebiet von Arzawa lag im Tal des Büyük Menderes (Maiandros in der Antike). Seine Hauptstadt Apaša wird von den meisten Forschern als Vorgängerin des antiken Ephesos interpretiert und in der Gegend der modernen Stadt Selçuk vermutet. Anhand der überlieferten Personennamen lässt sich nachweisen, dass in Arzawa Luwisch gesprochen wurde. Arzawa erreichte seinen machtpolitischen Höhepunkt im 15. und Anfang des 14. Jh. v. Chr., zu einer Zeit, als das Hethiterreich unbedeutend war. Damals war Arzawa die führende Kraft in Kleinasien, und seine Könige pflegten Kontakt mit Ägypten, wie Briefe in den Amarna-Archiven belegen.

Die hethitischen Dokumente nennen ein weiteres Dutzend luwische Königreiche im Westen und Süden Kleinasiens, die zeitweise Vasallen der Großkönige waren, zeitweise aber auch als deren Feinde bezeichnet werden. Dazu zählen neben den bereits genannten Lukka , Karkiša, Pitasa, Tarhuntašša, Kizzuwatna, Walma und Maša. Seit rund fünfzig Jahren diskutieren Experten die relative Lage dieser Königreiche und kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Unklar bleibt insbesondere die genaue Einordnung des westkleinasiatischen Staats Wiluša, der laut hethitischen Schriftquellen für kurze Zeit (1290–1272 v. Chr.) ein Vasallenstaat des Hethiterreichs war. Manche Forscher gehen heute davon aus, dass Wiluša mit Troja gleichzusetzen ist. Andere lokalisieren es im Südwesten Kleinasiens.

ANREGUNGEN

Eine Wissenslücke von 1600 Jahren

Obwohl die Länder im Westen Kleinasiens dank der hethitischen Keilschrifttexte seit langem weitgehend bekannt sind, scheint dieses Wissen bisher so gut wie keinen Einfluss auf die Rekonstruktion der politischen Verhältnisse und Handelsbeziehungen in der ägäischen Bronzezeit gehabt zu haben. Die rund zwei Dutzend mehr oder weniger ausgedehnten Königreiche in Westkleinasien tauchen auf kaum einer Karte mit den spätbronzezeitlichen Zivilisationen des Mittelmeerraums auf. Die meisten Karten zeigen vielmehr ein hethitisches Reich, das sich über fast ganz Kleinasien erstreckt. Diese Situation galt vermutlich nach 1300 v. Chr. tatsächlich während kurzer Zeit. Die Bronzezeit umfasst jedoch 2000 Jahre, während das Großreich der Hethiter nur für insgesamt etwa 400 Jahre bestand und sich dabei im Wesentlichen auf Zentralkleinasien beschränkte. Außerdem gab es eine Unterbrechung der hethitischen Herrschaft: Von etwa 1450 bis 1380 waren die Hethiter bedeutungslos.

Die heute gebräuchlichen Karten mit der riesigen Ausdehnung des hethitischen Reichs gegen Westen erwecken den Eindruck, die hethitischen Großkönige seien übermächtig gewesen – und sie verschleiern unseren Wissensmangel in Bezug auf diese Region. Tatsächlich bereiteten die Nachbarn im Westen den hethitischen Großkönigen viel Ärger. Gleich zweimal trugen sie zum Untergang des hethitischen Reichs bei. Geografische Ausdehnung entspricht nicht immer der tatsächlichen Macht. Eine Karte mit der Ausdehnung des deutschen Kaiserreichs von 1918 würde auch kaum implizieren, dass diese Nation gerade einen Weltkrieg verloren hatte.

Folgende Fragen sind bis heute offen: Wer lebte in Kleinasien während der 1600 Jahre der Bronzezeit, bevor sich das hethitische Großreich formierte? Wer führte den Niedergang des Alten Reichs der Hethiter um ca. 1450 v. Chr. herbei? Und wer hatte anschließend in Kleinasien das Sagen? Es fällt auf, dass das Alte Reich der Hethiter ungefähr gleichzeitig mit der minoischen Kultur an Bedeutung einbüßte. Vom Machtverlust Kretas profitierten die mykenischen Kleinkönigreiche, und vom vorübergehenden Verfall des Großreichs Hatti zogen höchstwahrscheinlich die Kleinstaaten in Westkleinasien Vorteile. Auch wenn diese Machtablösungen nahezu zeitgleich stattfanden, müssen sie nicht ursächlich miteinander verknüpft gewesen sein. Aber hat je jemand die Frage gestellt, ob sie es doch sein könnten?

Vom Totentempel Amenophis’ III. im heutigen Kom el-Hettan am Westufer des Nils ist nur wenig übrig geblieben – abgesehen von den Memnonkolossen beim Eingangstor, zwei massiven, 18 Meter hohen Steinstauten von Amenophis. Bereits während der Regierungszeit von Merenptah (1213–1203 v. Chr.) wurde der Tempel als Steinbruch benutzt. Im Rahmen der Grabungen von 2004/05 förderten Ingenieure und Fachleute unter der Leitung der Archäologen Hourig Sourouzian und Rainer Stadelmann aus dem Sumpf einen fast 20 Tonnen schweren Block zutage. Er zeigt Darstellungen von Gefangenen, deren Köpfe mit Namen von angeblich besiegten fremden Ländern und befestigten Städten umschrieben sind. Laut den Ausgräbern finden sich ein Syrer, ein Mesopotamier, ein Hethiter und zwei weitere Männer eher „asiatischen“ Typs. Alle sind mit einem Papyrus um den Hals zusammengefesselt. Der bartlose Hethiter wird von einem langhaarigen Mann gefolgt, der Isywa repräsentiert, dahinter geht ein kahlköpfiger Mann aus Arzawa. Die Ausgräber vermuteten, Isywa könnte eine frühe Form von Asia sein, zur damaligen Zeit eine Küstenregion in Westlkeinasien.

Eine echte Sensation war die Entdeckung neuer Quarzitfundamente beim nördlichen Säulengang des Peristylhofs. Auf diesen Blöcken sind fremde Völker dargestellt, die den Menschen aus der Ägäis ähneln, die im letzten Jahrhundert gefunden werden. Kopf, Körper und Name sind genau eingemeißelt, aber nicht detailliert ausgearbeitet. Die Ausgräber interpretierten die Namen als Luwien, Groß-Ionien und Mitanni. Andere Forscher schlugen stattdessen Arawanna, Maša und Mäonien vor. Sämtliche Lesarten deuten jedenfalls auf Regionen in Kleinasien hin und zeigen damit, dass die Ägypter im 14. Jh. v. Chr. klare Vorstellungen von der politischen Geografie Westkleinasiens hatten.

LITERATUR

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Zangger, Eberhard (1994): Ein neuer Kampf um Troia – Archäologie in der Krise. Droemer, München, 1-352.