Phönizien

Johann Uschold beschrieb bereits 1836 in seiner Geschichte des Trojanischen Krieges, wie die Königreiche in Westkleinasien nach dem Ende der Bronzezeit erblühten.
Diesen syrischen Adligen kennzeichnet dichtes schwarzes Haar, das durch ein dunkles Netz gehalten wird. Eine Pelerine umhüllt sein Gewand. (© Rosemary Robertson)

Die Phönizier besiedelten in der frühen Eisenzeit die Mittelmeerküste des heutigen Libanon und machten sich mit Kunsthandwerk und Seehandel einen Namen. Was ihre Fertigkeiten und Gewohnheiten angeht, sind deutliche Parallelen zu den Bewohnern der spätbronzezeitlichen westkleinasiatischen Küste erkennbar. Es ist durchaus möglich, dass Teile der dortigen Bevölkerung nach den Krisenjahren Richtung Phönizien zogen und dort zur Gründung der phönizischen Städte beitrugen.

KENNTNISSTAND

Die phönizische Kultur fällt unter anderem dadurch auf, dass sie kaum ein territoriales Königreich besaß. Das Kernland bestand lediglich aus einem schmalen, von Flusstälern zerklüfteten Streifen entlang der syrisch-libanesisch-israelitischen Mittelmeerküste. Nach den Zerstörungen und Reformen der Krisenjahre um 1200 v. Chr. handelten die Phönizier zunächst mit den wenigen vorhandenen Rohstoffen. Sie erkannten jedoch bald, dass das Kunstgewerbe mehr einbrachte. So entstanden Textilien, Möbel, Elfenbeinschnitzereien, Glas- und Metallwaren, die im ganzen Vorderen Orient und Mittelmeerraum geschätzt waren. Gemeinsam mit Luxusartikeln und Gewürzen wurden Metalle über große Entfernungen transportiert. Im 12. und 11. Jh. v. Chr. trat Eisen allmählich an die Stelle der Bronze. Auch im Hinblick auf die Edelmetallverarbeitung setzten phönizische Kunsthandwerker neue Maßstäbe.

Die Phönizier gründeten maritime Stützpunkte, um möglichst große Abschnitte der Handelswege kontrollieren zu können. Diese Niederlassungen entwickelten sich zu Manufakturen und Faktoreien. Der phönizische Seehandel folgte Routen, die bereits in der späten Bronzezeit vorgezeichnet waren. Sein primäres Interesse galt den Erzlagerstätten in Zypern, Sizilien, Sardinien, Etrurien und Südspanien sowie verschiedenen Inseln in der Ägäis.

Die Phönizier waren hervorragende Wasserbauer. Bei Dor im heutigen Israel findet man noch Kaianlagen aus gesägten Natursteinen und gepflasterte Plattformen. In der nördlich von Haifa gelegenen Hafenstadt Achsiv meißelten die Bewohner aus weit ins Meer hinausragenden Abrasionsplattformen halbkreisförmige Becken, die als künstliche Häfen dienten. In Sidon entwickelten sie ein hydraulisches System aus Becken und Kanälen, in dem der Wind weitgehend die Wasserzufuhr bestimmte. Es leitete sedimentfreie Wassermassen in die Becken und verhinderte so ein Verlanden der Häfen.

ANREGUNGEN

Impulse aus Luwien

Die Texte an den Wänden des ägyptischen Totentempels in Medinet Habu und verschiedene Dokumente zeigen, dass ein Teil der Seevölker in Kanaan siedelte. Diese Einwanderer kannten sich mit Nautik und Schiffbau aus und dürften sich in jahrelangen Kämpfen ein gewisses Draufgängertum angeeignet haben. Die angestammten Bewohner von Kanaan verstanden sich demgegenüber auf solides Handwerk und maritimen Handel. Beide Bevölkerungen zusammen wären prädestiniert gewesen, eine Kultur wie die phönizische hervorzubringen.

Der britische Archäologe John Manuel Cook erkannte, dass die Küsten des Libanon und die Lage ihrer Hafenstädte große Ähnlichkeit mit den ägäischen Küsten Westkleinasiens aufweisen. In beiden Fällen sind die Küstenstädte nicht nur relativ vom Binnenland, sondern auch voneinander isoliert.

Es ist möglich, dass ein Teil der Überlebenden aus den westkleinasiatischen Königreichen nach den Krisenjahren im heutigen Libanon siedelte und dort zur Gründung der phönizischen Städte beitrug. Die phönizischen Seehandelsrouten folgten erstaunlich genau den spätbronzezeitlichen Seewegen. Von den Karern, einem luwischen Volk, wird gesagt, dass sie einen Außenposten in Libyen unterhielten (Pausanias 3.1.1 und 4.1.1). Von den Phöniziern wiederum wissen wir, dass Siedler aus Tyros im 9. Jh. v. Chr. den Handelsposten Karthago im heutigen Tunesien gründeten, der später große Macht errang. Die enge Verbindung zwischen Luwiern und Libyern während der Seevölker-Invasionen scheint sich in der frühen Eisenzeit in der Achse Phönizien-Tunesien wiederzufinden.

LITERATUR

Aubet, Marie Eugenia (1993): The Phoenicians and the West. Cambridge University Press, Cambridge, 1-348.
Herda, Alexander (2013): “Greek (and our) views on the Karians.” In: Luwian Identities: culture, language and religion between Anatolia and the Aegean. Alice Mouton, Ian Rutherford & Ilya S. Yakubovich (eds.), Brill, Boston, 421-506.
Klinger, Jörg (2007): Die Hethiter. C. H. Beck, München, 1-128.
Niemeyer, Hans Georg (1990): “Die phönizischen Niederlassungen im Mittelmeerraum.” In: Die Phönizier im Zeitalter Homers. Ulrich Gehrig & Hans Georg Niemeyer (eds.), Philipp von Zabern, Mainz, 45-64.
Uschold, Johann (1836): Geschichte des Trojanischen Krieges. Cotta, Stuttgart, 1-352.