Die Region des späteren Phrygien im westlichen Zentralasien war Teil des hethitischen Reichs. Nach dessen Zerschlagung wurde die Hauptstadt Gordion zunächst verlassen und kurz darauf wieder besiedelt – möglicherweise von Einwanderern aus dem Balkan, die sich mit der ursprünglichen Bevölkerung vermischten. Das phrygische Reich, das vermutlich aus einer Koalition oder Konföderation verschiedener Fürstentümer bestand, galt als sagenhaft reich. Die Ausgrabungen in Gordion reichen nicht bis in die bronzezeitlichen Schichten. Funde mit luwischer Hieroglyphenschrift legen jedoch nahe, dass die Phrygier sich auf die Errungenschaften ihrer luwischen Vorgänger stützen konnten.
KENNTNISSTAND
Das westliche Zentralkleinasien gehörte im 13. Jh. v. Chr. zum hethitischen Großreich. Laut assyrischen Verwaltungstexten scheint dort nach dem Zusammenbruch des Hethiterreichs für einige Jahrhunderte ein Volk namens Muschku bestanden zu haben. Ende des 8. Jh. v. Chr. wird mehrfach ein Mitâ von Muschku als ein mächtiger Potentat in Zentralkleinasien erkennbar. In der griechisch-römischen Historiografie herrschte in dieser Zeit und Region der einflussreiche König Midas über das große Reich Phrygien.
Königssitz und Hauptstadt des phrygischen Reichs war Gordion, in der Nähe der Mündung des Porsuk in den Sakarya-Fluss (den antiken Sangarios). Die Stadt lag an einer wichtigen, bereits in der Spätbronzezeit intensiv genutzten Ost-West-Verbindung und war während der gesamten Bronzezeit besiedelt. Als das hethitische Reich zu Beginn des 12. Jh. v. Chr. zerschlagen worden war, verließen die Bewohner Gordion. Bald darauf erfolgte eine Wiederbesiedlung durch neue Bevölkerungsgruppen. Im 10. Jh. v. Chr. entstand eine von Wällen umgebene Zitadelle, in der im 9. Jh. ein Palastviertel errichtet wurde. Der Palast fiel um 800 v. Chr. einer Brandkatastrophe zum Opfer. Zu diesem Zeitpunkt zeigten andere Orte in Zentralkleinasien (Ankara, Alişar, Hacıbektaş) eine phrygische Präsenz. In Hattuša entstand eine phrygische Stadt, die die gesamte Fläche ihrer hethitischen Vorgängerin bedeckte. Im 8. Jh. v. Chr. erstreckte sich das phrygische Reich von Daskyleion in Nordwestkleinasien bis nach Tyana im Taurus. Die zentralen Orte waren Gordion und Midas-Stadt. In der Nähe von Gordion entstand eine Königsnekropole mit großen Tumulusgräbern, deren berühmtestes, das sogenannte Midas-Grab, um 740 v. Chr. erbaut wurde. Archäologen konnten das unversehrte Grab, das sehr viele kostbare Beigaben enthielt, erforschen und fanden darin das Skelett eines 60-70 Jahre alten unidentifizierten Mannes.
Die phrygische Sprache zählt eindeutig nicht zur anatolischen Sprachgruppe. Sie wurde in einer aus Phönizien übertragenen Alphabetschrift festgehalten, die der griechischen ähnelte.
ANREGUNGEN
In Midas’ Händen wurde alles zu Gold
Eine homerische Hymne (Nr. 5, An Aphrodite) erwähnt, dass Phrygien viele Festungen besäße. In der Ilias sagt Homer, die Phryger seien „angriffslustig“ (2.864) und „beritten“ (10.432), was damals offensichtlich selten oder sogar einzigartig war. Strabon (12.4.4; 14.5.29) erklärt, sie seien „Barbaren und Krieger“ gewesen, die um die Zeit des Trojanischen Krieges aus Mazedonien und Thrakien nach Zentralkleinasien eingewandert seien. Die Königreiche des Südostbalkans kämpften laut Homer im Trojanischen Krieg auf Seiten der Trojaner. Falls Truppen aus diesen Regionen auch an den Seevölker-Invasionen beteiligt waren und damit zum Untergang des hethitischen Reichs beigetragen hatten, würde die Einwanderung in Zentralkleinasien verständlich: Teile der Siegermächte übernahmen wichtige Handelsrouten auf zuvor hethitischem Territorium. Gegen die Einwanderung aus dem Balkan spricht jedoch, dass die phrygische Sprache nicht mit dem Thrakischen verwandt ist.
Die angeblich nach ihrem Gründer benannte Stadt Gordion wird seit 1950 archäologisch erforscht und gilt als die einzige umfassend untersuchte einflussreiche Stadt der frühen Eisenzeit Kleinasiens. Die Ausgrabungen zeigen, dass der Ort seit mindestens 2500 v. Chr. bewohnt war. Die bronzezeitlichen Besiedlungsschichten in Gordion sind allerdings kaum bekannt, weil sie unter den Fundamenten aus phrygischer Zeit verborgen liegen. Funde mit luwischer Hieroglyphenschrift signalisieren, zu welchem Kulturkreis der Ort zu zählen ist.
Seine größte Blüte erlangte Gordion erst nach dem Untergang des hethitischen Reichs. Die Zuwanderer verdrängten die ursprüngliche Bevölkerung nicht vollständig, sondern ergänzten sie. Auch hielten die eingewanderten Phryger offenbar den Kontakt zu ihrem Stammland aufrecht, was zum großen wirtschaftlichen Erfolg des Reichs beitrug. Das phrygische Reich bestand vermutlich aus einer Koalition oder Konföderation verschiedener Fürstentümer. Die amerikanische Prähistorikerin Machteld Mellink bezeichnete die westphrygische Kultur als „sagenhaft mächtig“ und vertrat die Meinung, dass viele ihrer erfolgreichen Errungenschaften auf die vorangegangene – beinahe unbekannte – Kultur der Spätbronzezeit zurückgehen. Hinter dieser Umschreibung verbirgt sich der, wie wir heute sagen würden, luwische Kulturkreis. Wer mehr über die Luwier erfahren wollte, bräuchte also in Gordion nur ein bis zwei Meter tiefer zu graben.
Der legendäre Reichtum phrygischer Könige, bei denen offenbar in verschiedenen Generationen die Namen Gordios und Midas gebräuchlich waren, hat sich in der Sage vom König Midas bewahrt, in dessen Händen alles zu Gold wurde. Als Gordios im Fluss Paktolos (heute Sart Çayı) badete, übertrug er diese Gabe auf ihn, womit der Paktolos zum goldreichsten Fluss und die Könige von Sardes an seinen Ufern zu den zeitweise reichsten Herrschern Kleinasiens wurden.
Die Phryger galten laut Herodot selbst bei den Ägyptern als das älteste Volk:
Wie nun Psammetichos [II.] zur Herrschaft [in Ägypten] gelangt war, wollte er gern wissen, welche Menschen wohl die ersten gewesen, und von dieser Zeit an glaubten die Ägypter, die Phryger seien vor ihnen da gewesen, sie selbst aber wären älter als alle anderen.
Herodot, Historien 2.2 (Bähr)