Seevölker-Inschriften und Grabungsbefunde

Darstellung der Seevölkerkriege auf der Außenmauer des Totentempels von Ramses III. in Medinet Habu.
Die ausgegrabene Handwerkersiedlung Deir el-Medina, wo die an den Königsgräbern arbeitenden Künstler unter strenger Bewachung lebten.
Am Ende der Bronzezeit gehörten die Libyer zu den bedrohlichsten Gegnern von Ägypten. Sie waren tätowiert und hatten eine Fransenfrisur mit Zöpfchen. (© Rosemary Robertson)
An den Mauern des Totentempels von Ramses III. in Medinet Habu befinden sich die Seevölker-Inschriften.
Rekonstruktion des Totentempels von Ramses III. in Medinet Habu. (© Rosemary Robertson)
Eine Abschrift des Friedensvertrages zwischen Hatti und Ägypten befindet sich an einer der Außenwände des Tempels von Karnak.

Die Seevölker-Invasionen sind uns vor allem aus den Inschriften im Totentempel von Ramses III. in Medinet Habu in Oberägypten bekannt. Zwar sind die Darstellungen – besonders was die Jahreszahlen angeht – nicht ganz plausibel, doch frei erfunden sind sie zweifellos auch nicht. Manches weist darauf hin, dass die Seevölker ein Bündnis westanatolischer Kleinstaaten waren. Dank einer Sonnenfinsternis und einem nicht abgeschickten Brief wissen wir heute außerdem mit ziemlicher Sicherheit, wann die Angriffe stattfanden.

KENNTNISSTAND

Inschriften in Karnak und Athribis aus dem 5. Jahr des Merenptah (ca. 1213-1203 v. Chr.) erwähnen erstmals eine Auseinandersetzung mit einer Koalition aus Libyern und „Seevölkern“, die in der Schlacht von Saïs gipfelte. Die inzwischen berühmten Seevölker-Attacken sind uns jedoch vor allem aus den Inschriften und Darstellungen auf den Wänden des Totentempels von Ramses III. in Medinet Habu bekannt. Demnach griff im 8. Jahr seiner Regierungszeit ein Bündnis von fremden Völkern Ägypten an, die ursprünglich „auf den Inseln inmitten des Meeres“ lebten. Die Angreifer hätten bereits eine Reihe von Ländern im östlichen Mittelmeer bezwungen, darunter Hatti und Arzawa. In einer ausführlich geschilderten Seeschlacht soll Ramses III. die Seevölker schließlich überwältigt haben.

Mit Hilfe der Zerstörungshorizonte in Syrien und Palästina lassen sich die Seevölker-Invasionen inzwischen sehr genau datieren. Im ägyptischen Tell el-Fara fand man ein Vorratsgefäß, das mit einer Kartusche Sethos’ II. gekennzeichnet und offensichtlich noch in Gebrauch war, als die Stadt überfallen wurde. Der Angriff muss also während oder nach der Regierungszeit Sethos’ II. stattgefunden haben, das heißt nach 1200 v. Chr.

Eine noch genauere Datierung ermöglicht einer der letzten Briefe aus Ugarit, ein Schreiben des ägyptischen Königsmachers Bija an Hammurabi. Die beiden waren demnach Zeitgenossen. Ugarit fiel somit während der ersten Hälfte der Amtszeit von Siptah und Tausret, als Bija noch lebte, also zwischen 1193 und 1189 v. Chr. Aus dieser Zeitspanne stammt auch ein zerbrochenes Fayencegefäß mit der Kartusche von Königin Tausret, das man neben Keramik der Periode SH IIIB im Zerstörungsschutt von Tell Deir Alla in Jordanien entdeckt hat.

Inzwischen konnte allerdings sogar der genaue Tag des Überfalls auf Ugarit bestimmt werden. Am 21. Januar 1192 v. Chr. (nach dem julianischen Kalender) fand zur Mittagszeit eine ringförmige Sonnenfinsternis statt. Der zentrale Streifen der Finsternis verlief auf einer Linie von Libyen/Ägypten in Richtung Zypern/Türkei durch den östlichen Mittelmeerraum – direkt über Ugarit hinweg. Ein ugaritischer Schreiber nahm die Sonnenfinsternis zum Anlass, auf einer Keilschrifttafel eine Nachricht zu verfassen, die für den königlichen Palast bestimmt war. Sie konnte jedoch nicht mehr zugestellt werden, da zu diesem Zeitpunkt die Angriffe der Seevölker eingesetzt hatten.

ANREGUNGEN

Seevölker und Luwier sind indentisch

Die Zeitangaben in den Seevölker-Texten von Medinet Habu scheinen teleskopartig komprimiert zu sein, wie dies bereits von Inschriften früherer Pharaonen bekannt ist. Ramses III. übernahm die Regierungsgeschäfte vermutlich am 7. März 1182 v. Chr. Das achte Jahr seiner Amtszeit, als er und seine Heere angeblich die Seevölker abwehrten, wäre also 1174 v. Chr. Die archäologisch und historisch belegten Umwälzungen fanden allerdings fast zwanzig Jahre früher statt.

Nutzlos sind die Berichte dennoch nicht. Sie enthalten verschiedene originelle Bemerkungen, die die Schreiber wohl kaum erfunden haben. Dazu gehört zum einen die Erwähnung eines Bündnisses, das offensichtlich einen neuen politischen Machtfaktor im östlichen Mittelmeer darstellte und von dem sich die anderen etablierten Staaten wohl zu Recht bedroht fühlten. Und glücklicherweise gaben die Schreiber die Herkunft der Angreifer an und lieferten gar die Namen der Völker. Die ägyptische Bezeichnung für die Seevölker lautet „Hau-nebut“ – sie steht für „Bewohner der Ägäis“. Die Namen der einzelnen Stämme sind über weite Strecken identisch mit jenen der Söldner, die 1274 v. Chr. an der Seite von Muwatalli II. in der Schlacht von Kadesch kämpften. Der hethitische König hatte damals 12000 hethitische Soldaten und 8000 Söldner versammelt. Inschriften im Tempel von Luxor identifizieren diese Verbündeten als westliche und südöstliche Nachbarn der Hethiter.

In der Folge hat sich in den letzten Jahren die Überzeugung weitgehend durchgesetzt, dass die Ägäis, insbesondere der west- bzw. südkleinasiatische Raum, der Ausgangspunkt der Unruhen war. Manche der in den ägyptischen Inschriften aufgeführten Stämme können in Westkleinasien lokalisiert werden, zum Beispiel die Lukka an der südwestlichen Spitze Kleinasiens – und genau dort sollen auch erstmals die Seevölker-Schiffe gesichtet worden sein. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass die sogenannten Seevölker ein militärisches Bündnis westanatolischer Kleinstaaten waren.

LITERATUR

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