Künstlerische Visualisierung eines Burghügels und einer versunkenen Stadt zur Illustration des Schicksals von Atlantis (Midjourney AI; © Luwian Studies #6130)
Die Legende von Atlantis, überliefert in Platons Timaios und Kritias, hat seit Jahrhunderten sowohl Gelehrte als auch die breite Öffentlichkeit in Bann gezogen. Platon schildert eine hochentwickelte Zivilisation, die einem griechischen Angriff zum Opfer fiel. Die Erinnerung an diese Ereignisse wurde von ägyptischen Priestern bewahrt und gelangte schließlich durch den griechischen Staatsmann Solon nach Athen. Während viele Altertumswissenschaftler Atlantis als reine Fiktion betrachten, legen moderne Untersuchungen nahe, dass die Erzählung eine verzerrte Erinnerung an ein tatsächliches historisches Ereignis sein könnte: an den Trojanischen Krieg. Demnach ist Atlantis kein reiner Mythos, sondern ein ägyptischer Bericht über die Ereignisse am Ende der Bronzezeit, der aufgrund von Ungenauigkeiten bei der Übersetzung ins Griechische teilweise fehlerhaft überliefert wurde.
Zahlreiche Elemente von Platons Atlantis weisen auffällige Parallelen zu den historischen und archäologischen Erkenntnissen über Troja auf. Platons Atlantis liegt nach seiner Beschreibung nahe einer schmalen Meerenge, die in ein weites Meer mündet – eine topografische Charakteristik, die sich mit der Lage Trojas am Eingang der Dardanellen und dessen strategischer Kontrolle über den Zugang zum Schwarzen Meer vergleichen lässt. Auch die Schilderung einer inselartigen Landmasse mit hochentwickelter Infrastruktur findet in der einzigartigen geografischen Beschaffenheit Trojas eine mögliche Entsprechung. Beide Kulturen sind mit denselben mythologischen Gründern verbunden, verfügten über heiße und kalte Quellen, pflegten einen ausgeprägten Stieropferkult und kannten Orichalcum, vermutlich Messing. Ihr Untergang erfolgte nach einer langwierigen Belagerung durch ein vereintes griechisches Heer, wobei der Überlieferung zufolge 1200 Schiffe sowie Waffen und Streitwagen aus Bronze zum Einsatz kamen.
Die Atlanter scheinen vor der Zeit von Dardanos in Phrygien gesiedelt zu haben.
William Gell, 1804. Die Topographie von Troja und seiner Umgebung. London: Whittingham; Seite 120.
Platon (in Kritias 115d und 118d) sagt über Atlantis, dass es „einen Kanal mit einer Tiefe von 100 Fuß … und geraden Kanälen von etwa 100 Fuß Breite“ besaß. Der Geograf Peter Wilhelm Forchhammer (1850, 20) sagt über Troja: „Die Tiefe dieses Kanals ist über 100 Fuß und seine obere Breite beträgt etwa 100 Fuß“ (© Luwian Studies #6142)
Platons Bericht über Atlantis beruht nach eigener Aussage auf ägyptischen Hieroglypheninschriften, die über Jahrhunderte hinweg die Erinnerung an vergangene Ereignisse bewahrten. Die Erzählung spiegelt demnach die ägyptische Sicht auf einen Konflikt zwischen den mykenischen Griechen und einem mächtigen Gegner wider. Da Platon ausdrücklich darauf hinweist, dass die ursprünglichen Namen durch griechische Entsprechungen ersetzt wurden, bleibt ungewiss, welche Begriffe die Ägypter tatsächlich verwendeten.
Während so der Staat sich bildete, wurden daselbst dem Zeus von der Elektra, einer der Atlantiden, Dardanus ... geboren. Dardanus gründete die Burg, die zu dem nachmaligen Troja gehörte.
Diodorus (Siculus), Historische Bibliothek 5.48.2, übersetzt von Julius Friedrich Wurm, 1831. J.B. Metzler, Stuttgart.
Die Übermittlung dieses Berichts an Solon durch ägyptische Priester steht im Einklang mit der gut dokumentierten Praxis, historische Ereignisse in hieroglyphischen Texten festzuhalten. Ägyptische Quellen erwähnen wiederholt mächtige Gegner in der Ägäis, die sie als Bewohner der „Inseln des großen Grüns“ bezeichnen. So könnte sich in Ägypten eine alternative Version des Trojanischen Kriegs erhalten haben, die von der homerischen Überlieferung abweicht.
Den Namen „Atlantis“ dürfte Solon bei seiner redaktionellen Überarbeitung des Manuskriptes eingeführt haben – zu einem Zeitpunkt, als ihm die Parallelen mit Troja bereits bewusst geworden waren. Ägyptische Hieroglypheninschriften gaben fremde Ortsnamen häufig phonetisch wieder, was bei der Übertragung ins Griechische zu Verzerrungen führte. In der griechischen Mythologie lässt sich der Stammbaum Trojas auf Atlas zurückführen, und mittelalterliche Quellen beschreiben die Trojaner als „Atlanter“, wobei sie Troja mit ähnlichen Merkmalen wie Atlantis in Verbindung bringen. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein bezeichneten englische Historiker die Trojaner als „Atlanter“.
Auch die archäologischen Funde in der Umgebung von Troja stützen die Identifizierung mit Atlantis, insbesondere in Bezug auf die hochentwickelte Infrastruktur der Stadt. Troja VI, eine blühende Metropole der Spätbronzezeit, verfügte über ein fortschrittliches Wasserwirtschaftssystem mit künstlichen Häfen und Kanälen – Schlüsselelemente, die auch in Platons Beschreibung von Atlantis eine zentrale Rolle spielen.
Besonders bemerkenswert ist ein künstlich angelegter Einschnitt in die Steilküste, der es Schiffen ermöglichte, in ein Hafenbecken in der Talauen zu gelangen – eine weitere auffallende Parallele zu Platons Schilderung. Überreste dieses ausgeklügelten Systems, darunter verlandete Hafenbecken, Kanäle und Hügel aus Aushubmaterial, sind bis heute in der Küstenebene sichtbar. Diese Entdeckungen belegen die maritimen Fähigkeiten Trojas und unterstreichen seine Bedeutung als Seehandelsmacht – ein Aspekt, der sich ebenfalls in Platons Erzählung findet.
Ilus wird als Merop-Atlantier bezeichnet und gehörte der Rasse der trojanischen Könige an, folglich waren sie alle Merop-Atlantier.
William Gell, 1804. Die Topographie von Troja und seiner Umgebung. London: Whittingham; Seite 119.
Die wenigen Unstimmigkeiten in Platons Erzählung, darunter merkwürdige Zeitangaben und geografische Abweichungen, lassen sich durch die typischen Fehler erklären, die bei der Übersetzung altägyptischer Hieroglyphentexte ins Griechische auftraten. Besonders auffällig ist die Angabe, dass Atlantis 9000 Jahre vor Solons Zeit existiert habe. Diese Zahl ist vermutlich auf ein Missverständnis in Bezug auf die verschiedenen ägyptischen Kalender zurückzuführen, in denen Zeiträume meist in Mond- statt in Sonnenjahren angegeben wurden. Wird diese Differenz berücksichtigt, ergibt sich eine Datierung der Ereignisse am Ende der Bronzezeit und somit eine weitere Übereinstimmung mit dem Untergang Trojas.
Ein weiterer Übersetzungsfehler betrifft den Begriff „Insel“. Die entsprechende Hieroglyphe wurde jedoch nicht nur für eigentliche Inseln verwendet, sondern auch für Küstenregionen – sie bezeichnet fremde Länder jenseits des Meeres. Abgesehen davon hätten ägyptische Beobachter angesichts der Lage Trojas auf einer Halbinsel mit starkem maritimem Einfluss die Gegend durchaus als Insel wahrnehmen können, obwohl es sich um eine Halbinsel handelt.
Die allgemeine Meinung ist, dass Troja von Ilus, dem Sohn des Dardanos, erbaut wurde, der folglich aus derselben Familie stammen musste, einem Merop-Atlantier.
Jacob Bryant, 1776. A New System, or, An Analysis of Ancient Mythology. London: J. Walker, Band 3; Seite 437.
Die Identifizierung von Atlantis mit Troja eröffnet neue Perspektiven in Bezug auf den Kultureinbruch am Ende der Bronzezeit. In Platons Erzählung erscheinen die Trojaner als die ursprünglichen Angreifer – was sie sowohl vom Zeitpunkt der Ereignisse wie auch von der Fahrtroute her mit den Überfällen der Seevölker in Einklang bringt, über die ebenfalls ägyptische Inschriften berichten. Sollte Troja nicht nur mit Atlantis, sondern auch mit der Heimat der Seevölker identisch sein, ließen sich diese Invasionen als koordinierte Angriffe der vereinigten luwischen Staaten Westkleinasiens interpretieren, angeführt von trojanischen Herrschern. In diesem Szenario wäre der Trojanische Krieg, wie ihn die griechische Überlieferung schildert, keine isolierte Auseinandersetzung, sondern eine gezielte Gegenoffensive der Griechen zur Schwächung einer vorübergehenden luwischen Hegemonie.
Ich will nun berichten, was ich bei den ägyptischen Priestern von einem hochbetagten Greis in Onuphis erfahren habe ... Er erzählte mir, daß die ganze Vergangenheit bei ihnen aufgeschrieben sei, zum Teil in den Tempeln, zum Teil auf gewissen Säulen ... Unter den jüngsten Eintragungen befänden sich auch die Ereignisse um Troia.
Dion Chrysostomos, Sämtliche Reden 11.37–38, übersetzt von Winfried Elliger, 1967. Artemis, Zürich.
Bemerkenswert ist auch die Uneinigkeit unter jenen, die an die Existenz von Atlantis glauben: Jeder vermutet die versunkene Stadt an einem anderen Ort. Ebenso gibt es unter Altphilologen keine Einigkeit darüber, ob Atlantis eine Erfindung Platons oder eine Erzählung mit historischem Kern ist. Diejenigen, die es für ein literarisches Konstrukt halten, widersprechen sich in ihren Erklärungen über Platons mögliche Motive, während diejenigen, die eine historische Vorlage vermuten, keinen Konsens darüber finden, welche dies gewesen sein könnte. Im Gegensatz zu diesem Wirrwarr an Hypothesen zeichnen sich die nichthomerischen Troja-Überlieferungen, die sich aus römischer Zeit über das gesamte Mittelalter hinweg erhalten haben, durch eine bemerkenswerte Konstanz aus. Trotz ihres nach heutigem Verständnis oft als fiktiv geltenden Charakters teilen sie eine zentrale Aussage: Troja war der ursprüngliche Angreifer – und würde damit wohl dem Heimathafen der Seevölker entsprechen.
Hinter dem imaginären Krieg zwischen den Athenern und den Atlantern verbirgt sich jedoch ein anderes legendäres Modell, das des Trojanischen Krieges.
Marcelle Laplace, 1984. “Le ‘Critias’ de Platon, Ou l’ellipse d’une Épopée.” Hermes 112 (3): 378.
Während andere Theorien über den Zusammenbruch der Bronzezeit unbekannte Faktoren wie Erdbeben, Klimaveränderungen oder Meteoriteneinschläge bemühen, reduziert die Troja-Atlantis-These die Zahl der Unbekannten spürbar. Sie fasst verschiedene mythologische und historische Traditionen zu einer kohärenten Erzählung zusammen: Die Seevölker, die Trojaner, Atlantis und sogar Scheria in Homers Odyssey erscheinen nicht mehr als separate unerklärliche Phänomene (und Fiktionen), sondern als unterschiedliche Erinnerungen an dieselbe blühende Stadt, die durch menschliche Gewalt unterging. Indem Atlantis mit Troja gleichgesetzt wird, integriert diese Hypothese archäologische, historische und mythologische Indizien in ein konsistentes Deutungsmodell, das sowohl den literarischen als auch den materiellen Befund in einen gemeinsamen Rahmen stellt – und im Übrigen jederzeit durch Geländeuntersuchungen bestätigt oder widerlegt werden kann.