Wer sind die Luwier?

Basalt-Orthostat von einer Säule des Königspalasts in Karkemisch mit einer luwischen Inschrift aus der Zeit von 900–700 v. Chr.
Der nierenförmige Siedlungshügel Tavşanlı Höyük in der Bildmitte bei der gleichnamigen Kreisstadt ist 400 x 300 m groß und war zuletzt im 2. Jt. v. Chr. besiedelt. (© Google, Digital Globe)
Bekannte Siedlungsplätze, Ausgrabungen, mögliche Hauptstädte, die Lage von Kleinstaaten und natürliche Grenzen zur Zeit des Trojanischen Kriegs können nun übersichtlich dargestellt werden.
Mit Hilfe eines Geografischen Informationssystems haben Forscher der Stiftung Luwian Studies erstmals 340 Siedlungsplätze des 2. Jt. v. Chr. im Westen der Türkei erfasst und ausgewertet.
Die mit Federkrone dargestellten Seevölker tragen die Bezeichnung Tekker, was an „Teuker“ erinnert, ein für die Trojaner nach 1200 v. Chr. gebräuchlicher Begriff. (© Rosemary Robertson)
Die Region, in der am Ende der Bronzezeit Luwisch gesprochen wurde, war viel größer als die Region, in der Hethitisch gesprochen wurde (nach Der Neue Pauly 2012).

Die Luwier lebten in der Bronzezeit in Westkleinasien. Sie wurden bisher vor allem von Sprachwissenschaftlern erforscht, die durch zahlreiche Dokumente aus Hattuša, der Hauptstadt des hethitischen Reichs in Zentralkleinasien, von den Luwiern erfuhren. Ausgrabungen gab es bisher nur wenige in den vormals luwischen Gebieten. Deswegen berücksichtigen Archäologen die Luwier bis heute nicht in ihren Rekonstruktionen der Vergangenheit. Wenn das westliche Kleinasien und seine Bevölkerung in der Ägäischen Frühgeschichte stärker beachtet werden, wird es möglich, eine plausible Erklärung für den Zusammenbruch der bronzezeitlichen Kulturen rund um das östliche Mittelmeer zu entwickeln.

KENNTNISSTAND

Über Jahrtausende hinweg war der Westen Kleinasiens, vermutlich aufgrund seiner großen Ausdehnung und seiner komplizierten Topografie, politisch in viele Kleinkönigreiche und Fürstentümer zersplittert. Das hat diese Region in ihrer wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung geschwächt und das Erkennen eines mehr oder weniger gleichförmigen luwischen Kulturkreises verzögert.

Sprachwissenschaftlich hingegen sind die Luwier gut untersucht. Ab etwa 2000 v. Chr. tauchen luwische Personennamen und Lehnworte in den altassyrischen Dokumenten aus der Handelsstadt Kültepe (auch Kaniš oder Neša) auf. Die damals in Kleinasien lebenden assyrischen Händler bezeichneten die einheimische Bevölkerung als nuwaʿum, was „Luwier“ entspricht. Etwa zur gleichen Zeit siedelten die frühen Hethiter etwas weiter nördlich am oberen Kızılırmak-Fluss. In den in akkadischer Keilschrift verfassten Dokumenten aus der hethitischen Hauptstadt Hattuša wird das von der luwischsprechenden Bevölkerung bewohnte Gebiet anfänglich als Luwiya bezeichnet. Hethitische Gesetze und andere Dokumente enthalten Hinweise auf Übertragungen „in luwische Sprache“. Demnach sprach man Luwisch in ganz Süd- und Westanatolien, und zwar in verschiedenen Dialekten. Das Luwische zählt zum anatolischen Zweig der indogermanischen Sprachen. Es wurde in einer Hieroglyphenschrift geschrieben, die während eines Zeitraums von mindestens 1400 Jahren belegt ist (2000–600 v. Chr.). Das Hieroglyphenluwisch ist damit die erste Schrift, in der eine indogermanische Sprache festgehalten wurde. Die Menschen, die diese Schrift verwendeten und einen luwischen Dialekt sprachen, lebten in der Bronzezeit und in der Eisenzeit in Kleinasien und Nordsyrien.

ANREGUNGEN

Eine Kluft zwischen Sprachwissenschaften und Archäologie

Dank der über 33’000 Dokumente aus Hattuša, der Hauptstadt des hethitischen Reiches, konnten Sprachwissenschaftler ein umfassendes Bild der luwischen Kultur zeichnen. Zu den grundlegenden Arbeiten zählen die Bücher Arzawa von Susanne Heinhold-Krahmer (1977); The Luwians, herausgegeben von H. Craig Melchert (2003); und Luwian Identities, herausgegeben von Alice Mouton und anderen (2013). In den Erklärungsmodellen der prähistorischen Archäologie hingegen taucht der luwische Kulturkreis überhaupt nicht auf. Der Kenntnisstand in der Ägäischen Frühgeschichte ist in den letzten Jahren in umfangreichen Büchern zusammengefasst worden, ohne dass dabei die Luwier erwähnt worden wären.

Aus verschiedenen Gründen, auf die anderswo eingegangen wird, scheint sich die Anerkennung eines luwischen Kulturkreises verzögert zu haben. Die Kluft zwischen den Sprachwissenschaften einerseits und der prähistorischen Archäologie anderseits besteht seit bald hundert Jahren: seit der Hethitologe Emil Forrer, der in den Tontafeln von Hattuša als Erster die luwische Sprache identifizierte, bereits im Jahr 1920 die Bedeutung dieser Kultur erkannte.

Heute hat sich der Begriff „luwisch“ etabliert, um eine Sprache, eine Schrift und eine ethnolinguistische Gruppe von Menschen zu bezeichnen, die diese Sprache und/oder diese Schrift verwendeten. Da die meisten bekannten hieroglyphenluwischen Dokumente aus der frühen Eisenzeit stammen und in Syrien und Palästina gefunden wurden, wird der Begriff häufig für die Bewohner am östlichen Ende des Mittelmeers im 10. und 9. Jh. v. Chr. verwendet. Die luwischen Hieroglyphen tauchen jedoch auch schon 2000 v. Chr. im westlichen und südlichen Kleinasien auf. Daher wird auch die einheimische Bevölkerung, die neben den Hattiern vor der Ankunft der Hethiter und während ihrer Herrschaft in West- und Südanatolien lebte, als luwisch bezeichnet. Im Rahmen dieser Website wird der Begriff luwisch in einem dritten Sinn verwendet: in einem geografischen und zeitlichen Kontext. Er umfasst die Menschen, die während des 2. Jt. v. Chr. zwischen den Mykenern in Griechenland und den Hethitern in Zentralanatolien lebten und die sich keiner dieser Kulturen zugehörig gefühlt hätten. Diese Definition unterscheidet sich nicht von denen, die wir heute verwenden. Jeder Mensch gehört einer ethnolinguistischen Gruppe an, und jeder lebt in einem bestimmtem Hoheitsgebiet – wobei die beiden keineswegs identisch sein müssen. Im Rahmen dieser Website stehen das Hoheitsgebiet – Mittel- und Spätbronzezeit in Westkleinasien – sowie die Menschen, die in ihm lebten, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und nicht ihre ethnische Herkunft.

LITERATUR

Beekes, Robert (2003): “Luwians and Lydians.” Kadmos 42, 47-49.
Huxley, George Leonard (1961): Crete and the Luwians. Vincent Baxter Press, Oxford, 1-60.
Kozloff, Arielle P. (2012): Amenhotep III – Egypt’s radiant pharaoh. Cambridge University Press, Cambridge, 1-351.
Melchert, H. Craig (ed.) (2003): The Luwians. Brill, Leiden, 1-383.
Mouton, Alice, Ian Rutherford & Ilya S. Yakubovich (eds.) (2013): Luwian Identities: culture, language and religion between Anatolia and the Aegean. Brill, Boston, 1-604.
Oberheid, Robert (2007): Emil O. Forrer und die Anfänge der Hethitologie – eine wissenschaftshistorische Biografie. De Gruyter, Berlin.
Palmer, Leonard R. (1961): Mycenaeans and Minoans. Faber and Faber, London, 1-264.
Reichel, Michael (2011): “Epische Dichtung.” Handbuch der griechischen Literatur der Antike, vol. 1. Bernhard Zimmermann (ed.), C. H. Beck, München, 1-816.
Singer, Itamar (2011): The Calm before the Storm. Society of Biblical Literature, Atlanta, Georgia, 1-766.
Yakubovich, Ilya S. (2010): Sociolinguistics of the Luvian language. Brill’s studies in Indo-European languages & linguistics, Brill, Leiden, 1-454.