Die Verteilung der Fundstätten spricht eine deutliche Sprache: Der Westen Kleinasiens war in den besonders fruchtbaren Regionen im 2. Jt. v. Chr. dicht besiedelt. In den Disziplinen der Altertumskunde, die sich nach Dokumenten richten, ist dies keine neue Erkenntnis. Die grabenden Archäologen hingegen haben offenbar ein anderes Bild.
KENNTNISSTAND
Die Erforschung der luwischen Kultur fällt in den Zuständigkeitsbereich von mindestens drei Forschungsrichtungen innerhalb der Altertumskunde. Die Hethitologie, ein Zweig der Altorientalistik, stützt sich auf die Auswertung der Dokumente aus den ausgegrabenen hethitischen Fundstätten. In diesen Dokumenten werden rund 2000 Ortschaften und mindestens zwei Dutzend Nachbarstaaten des hethitischen Reichs erwähnt. Schon früh haben sich Hethitologen damit befasst, auf der Basis der Angaben eine Karte der politischen Geografie zu entwerfen, aus der zumindest die relativen Positionen der Kleinkönigreiche zueinander ersichtlich sind. Diese Rekonstruktionsversuche verlaufen bis heute recht kontrovers.
Die zweite Forschungsrichtung, die sich intensiv mit den Luwiern befasst, ist der sprachwissenschaftliche Zweig der Altorientalistik, der sich ebenfalls auf die Auswertung der hethitischen Dokumente stützt. Da Altanatolien ein Schmelztiegel früher europäischer Sprachen war, ist diese Forschung besonders weit gediehen.
Die Untersuchung der materiellen Hinterlassenschaften hingegen obliegt der grabenden Archäologie, in diesem Fall der Ägäischen Frühgeschichte. Innerhalb dieser Forschungsrichtung fehlt die luwische Kultur eigentlich komplett – trotz der jahrzehntelangen Fortschritte in der Hethitologie und der Linguistik und obwohl in den letzten Jahren an 25 luwischen Fundplätzen Ausgrabungen stattfanden. Keine Karte der politischen Verhältnisse (aus ägäischer Sicht), keine Monografie über Ägäische Frühgeschichte, kein Sammelband wissenschaftlicher Publikationen, keine Tagungs-Proceedings der ägäischen Prähistoriker gehen auf die Luwier ein.
So ist 2008 ein Buch mit dem Titel The Cambridge Companion to the Aegean Bronze Age erschienen, in dem auf über 450 Seiten das heutige Wissen über die ägäische Bronzezeit wiedergegeben wird, wobei sich jedoch keiner der Beiträge mit Kulturen auf dem Boden der heutigen Türkei beschäftigt. 2010 folgte ein noch umfangreicheres Werk: The Oxford Handbook of the Bronze Age Aegean – ein einziger Artikel darin, mit 12 von insgesamt 930 Seiten, berührt oberflächlich Westkleinasien. Selbst in The Oxford Handbook of Ancient Anatolia (2011) widmen sich lediglich 12 von 1174 Seiten dem Thema Westkleinasien in der Spätbronzezeit. Zuletzt bemühte sich das Buch 1177 B.C. – The Year Civilization Collapsed (2014), das Ende der Bronzezeit ganz ohne Luwier erklärbar zu machen. Alle genannten Bücher blieben dabei Patchworks und konnten keine umfassende plausible Erklärung für den Kollaps der bronzezeitlichen Kulturen im östlichen Mittelmeerraum liefern.
ANREGUNGEN
Gründe für die Forschungslücke
Hin und wieder stößt man als Erklärung für das fehlende Interesse an der Spätbronzezeit Westkleinasiens auf die Vermutung, dass dort überwiegend halbnomadische Reitervölker heimisch waren. Da Zivilisation eine organisierte Gesellschaft, städtische Agglomerationen und Schriftkenntnis voraussetzt, wären die westlichen Nachbarn der Hethiter demnach unzivilisiert gewesen. Deswegen gab es lange Zeit kaum ein Interesse daran, diese Region zu erforschen. Allerdings sprechen die vielen, ausgedehnten und artefaktreichen Siedlungshügel, die eine zum Teil jahrtausendelange Sesshaftigkeit belegen, eine andere Sprache. Dass keine Beweise für die Existenz einer beachtenswerten Zivilisation vorhanden sind, ist keineswegs ein Beweis dafür, dass es eine solche nicht gab. Wir wissen ganz einfach nicht genug über die Luwier, weil noch keine großflächigen und tiefen Ausgrabungen stattgefunden haben.