Zeitachse

Der Weg in die Apokalypse am Ende der Spätbronzezeit

Diese Abfolge von Ereignissen entspricht dem Modell für den Zusammenbruch spätbronzezeitlicher Kulturen, das Eberhard Zangger 1994 in seinem Buch Ein neuer Kampf um Troia vorstellte.

Reconstructed fortification wall of Hattuša
Rekonstruierte Festungsmauer der hethitischen Hauptstadt Hattuša (© Luwian Studies #1008)

1250 v. Chr. – Heroisches Zeitalter: Friedlicher Fernhandel als Grundlage aristokratischen Wohlstands

Bis etwa 1250 v. Chr. florierten die Kulturen des östlichen Mittelmeerraums, darunter das Neue Reich in Ägypten, die mykenischen Kleinkönigreiche in Südgriechenland und das hethitische Reich in Zentralanatolien. Ein weitreichendes Handelsnetz ermöglichte den Austausch von Rohstoffen und wertvollen Gütern über Tausende von Kilometern hinweg. Schriftsysteme wurden in den beteiligten Regionen nicht nur für administrative Zwecke genutzt, sondern auch zur Aufzeichnung von Liturgien und Festabläufen. Bedeutende Ereignisse dieser Zeit waren die Schlacht von Kadesch zwischen Hethitern und Ägyptern im Jahr 1275 v. Chr. sowie der Friedensvertrag von 1258 v. Chr., der als ältester bekannter schriftlicher Staatsvertrag gilt. Um 1250 v. Chr. erreichte die mykenische Kultur mit dem Bau monumentaler Zitadellen ihren Höhepunkt.
Reconstructed fortification wall of Hattuša
Rekonstruierte Festungsmauer der hethitischen Hauptstadt Hattuša (© Luwian Studies #1008)
Sunrise in Hattuša on Winter Solstice 2018
Sonnenaufgang über den Fundamenten von Tempel 2 und 3 und dem Büyükkale-Palast in Hattuša zur Wintersonnenwende 2018 (© Luwian Studies #1015)

1230 v. Chr. – Hatti wird bedroht: Ein Königreich im Niedergang

Das hethitische Reich war um 1230 v. Chr. die dominante Macht im nordöstlichen Mittelmeerraum, doch interne Konflikte und äußere Bedrohungen setzten ihm zunehmend zu. Die hethitische Königsfamilie in Hattuša war durch dynastische Streitigkeiten geschwächt, während Elemente der luwischen Kultur, die West- und Südanatolien beherrschte, zunehmend auch in den hethitischen Kernlanden an Einfluss gewannen – selbst in der Hauptstadt Hattuša. Der Niedergang des hethitischen Reiches beschleunigte sich: Im Westen sagten sich ehemalige Vasallenstaaten los und bildeten offenbar eine Koalition gegen die hethitische Zentralmacht. Im Osten rückten assyrische Truppen vor und sicherten sich die strategisch wichtigen Erzminen von Išuwa. Im Norden erstarkten die Kaškäer, die seit langem als Bedrohung für die Hethiter galten. Im Süden fiel Tarhuntašša, bislang ein treuer Vasallenstaat, von Hattuša ab. Lediglich Syrien, das von einer Seitenlinie des hethitischen Königshauses regiert wurde, blieb dem Reich noch verbunden – doch die Hegemonie der Hethiter neigte sich unaufhaltsam dem Ende zu.
Sunrise in Hattuša on Winter Solstice 2018
Sonnenaufgang über den Fundamenten von Tempel 2 und 3 und dem Büyükkale-Palast in Hattuša zur Wintersonnenwende 2018 (© Luwian Studies #1015)
Cylinder seals from Seyitömer Höyük
Mittelbronzezeitliche Rollsiegel aus Seyitömer Höyük (nach Bilgen et al. 2021;© Luwian Studies #0186)

1200 v. Chr. – Die Luwier: Eine übersehene Kultur im westlichen Kleinasien

Der westliche Teil Kleinasiens stand – mit Ausnahme von Troja – lange Zeit kaum im Fokus der prähistorischen Forschung. Doch jüngste Untersuchungen, fast ausnahmslos durch türkische Archäologen, haben rund 500 größere Siedlungsplätze aus dem zweiten Jahrtausend v. Chr. identifiziert. Da bisher nur etwa die Hälfte der Region systematisch untersucht wurde, könnte sich diese Zahl durchaus noch verdoppeln. Viele dieser Siedlungen haben Durchmesser von über 500 Metern, waren bis zu 5000 Jahre lang bewohnt und wurden bis heute archäologisch kaum erforscht.

Die Existenz einer bedeutenden Kultur zwischen den Mykenern und Hethitern wurde lange übersehen: die Luwier. Laut Homer waren sie nicht nur Nachbarn und Zeitgenossen Trojas, sondern auch dessen Verbündete im Trojanischen Krieg. Die Luwier verwendeten ihre eigene Schrift, die luwischen Hieroglyphen, die sich bis ins 13. Jahrhundert v. Chr. sogar in Hattuša, der Hauptstadt der Hethiter, durchsetzte. Die luwische Wirtschaft basierte auf Landwirtschaft, Bergbau und Handel. Die Siedlungen waren lokal organisierte Gemeinschaften, die kooperativ wirtschafteten. Sie nutzten die fruchtbaren Talsohlen für den Ackerbau, während die umliegenden Hügel als Weideland dienten.
Cylinder seals from Seyitömer Höyük
Mittelbronzezeitliche Rollsiegel aus Seyitömer Höyük (nach Bilgen et al. 2021;© Luwian Studies #0186)
The mortuary temple of Ramesses III in Medinet Habu
Die Nordwand des Totentempels von Ramses III. in Medinet Habu, westlich von Theben, Ägypten, mit der Darstellung der Schlachten gegen die Seevölker (© Luwian Studies #4051)

1192 v. Chr. – Invasion der Seevölker: Das plötzliche Ende des goldenen Zeitalters

Kurz nach 1200 v. Chr. fand die Blütezeit der spätbronzezeitlichen Kulturen ein abruptes Ende. Ägyptische Tempelinschriften berichten von Invasionen durch vereinte ethnische Gruppen, die mit wendigen Schiffen unerwartet an den Küsten des östlichen Mittelmeers auftauchten, um Hafenstädte zu plündern und in Brand zu setzen. Dieses Bündnis ist heute unter dem Sammelbegriff „Seevölker“ bekannt. Die Angreifer lassen sich – soweit rekonstruierbar – teilweise auf Länder in Westkleinasien zurückverfolgen, aber möglicherweise auch nach Libyen, Kreta und Sardinien.

Ein bemerkenswertes Zeugnis dieser Ereignisse befindet sich im Archäologischen Museum von Nikosia auf Zypern: eine etwa faustgroße Tontafel mit zypriotischer Schrift (Enkomi 1687). Sie enthält, nach der Lesung des niederländischen Altgeschichtlers Fred Woudhuizen, den Brief eines zypriotischen Admirals, der um 1192 v. Chr. während einer Patrouille durch die Ägäis unerwartet auf eine große Flotte stößt. Die Schiffe sind von Troja aus aufgebrochen und stehen unter dem Kommando eines trojanischen Prinzen namens Akamas. Der Admiral, von der schieren Übermacht überwältigt, bricht seine Patrouille ab und steuert einen sicheren Hafen in Limyra an der südwestanatolischen Küste an. Von dort aus diktiert er seinem König in Zypern eine dringende Warnung und bittet um Verstärkung.

Diese dramatische Szene ist auf dem Titelbild der Seite „Warum die Luwier heute wichtig sind“ dargestellt. Wenn sie sich als richtig erweist, zeigt sie die früheste dokumentierte Sichtung der Seevölkerinvasionen. Sie markiert damit den Beginn einer Epoche des Umbruchs, die zum Zusammenbruch der bronzezeitlichen Königreiche führte.
The mortuary temple of Ramesses III in Medinet Habu
Die Nordwand des Totentempels von Ramses III. in Medinet Habu, westlich von Theben, Ägypten, mit der Darstellung der Schlachten gegen die Seevölker (© Luwian Studies #4051)
Odysseus’ slaying of the suitors
Künstlerische Rekonstruktion der Ermordung der Freier durch Odysseus bei seiner Rückkehr in den Königspalast von Ithaka (Midjourney AI; © Luwian Studies #6403)

1190 v. Chr. – Welle der Zerstörung: Ein Flächenbrand von Ost nach West

Die Angreifer kamen aus dem Westen. Sie drangen jedoch mit ihren Schiffen gleich zu Beginn so weit wie möglich nach Osten vor. Der Angriff auf die Hafenstadt Ugarit in Syrien zielte auf die Zerstörung einer Handelsdrehscheibe. Der letzte bronzezeitliche König von Ugarit, Hammurabi, schildert die dramatische Lage in einem eindringlichen Brief (RS 18.147) an den König von Zypern, den er um Hilfe ersucht hatte:

„Mein Vater, siehe, die Schiffe des Feindes sind hierhergekommen; meine Städte sind verbrannt, und sie haben Böses getan in meinem Land. Weiß mein Vater nicht, dass alle meine Truppen und Wagen im Lande Hatti sind und alle meine Schiffe im Lande Lukka? So ist das Land sich selbst überlassen. Möge mein Vater es wissen: Die sieben Schiffe des Feindes, die hierherkamen, haben uns viel Schaden zugefügt.“

Dieser Brief wurde bei den Ausgrabungen in Ugarit entdeckt – er hatte die Stadt also nie verlassen. Ugarit fiel den Invasoren zum Opfer, und in der Folge rollte eine Welle der Zerstörung von Osten nach Westen. Sie traf bedeutende bronzezeitliche Zentren wie Hattuša, Troja, Mykene und Pylos. Diese Vernichtungsphase erstreckte sich jedoch über mindestens 20 Jahre, in denen verschiedene Angreifer ihr Werk vollendeten.
Odysseus’ slaying of the suitors
Künstlerische Rekonstruktion der Ermordung der Freier durch Odysseus bei seiner Rückkehr in den Königspalast von Ithaka (Midjourney AI; © Luwian Studies #6403)
Laomedon killed during the first Trojan War
Laomedon, König von Troja, stirbt durch einen von Herakles während des ersten Trojanischen Krieges abgeschossenen Pfeil; Ostgiebel des Tempels von Aegina, Glyptothek, München, Deutschland (© Luwian Studies #2011)

1182 v. Chr. – Der Trojanische Krieg: Trojas Untergang im Kontext der Seevölker-Invasionen

Der Fall Trojas – wenn es sich denn dabei um ein historisches Ereignis handelt – fällt in den Zeitraum wenige Jahre nach den Invasionen der Seevölker. Erstaunlicherweise wurde diesem Zusammenhang lange Zeit kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Heute verbinden wir die Erinnerung an Troja und seine Zerstörung fast ausschließlich mit Homers Ilias. Dabei handelt es sich bei Homers Epen jedoch nur um Ausschnitte aus einem wesentlich umfassenderen epischen Zyklus. Neben Homer existieren weitere antike Quellen zum Trojanischen Krieg, deren Angaben sogar zum Teil mit neueren archäologischen Erkenntnissen übereinstimmen. Dies legt nahe, dass bestimmte historische Details zutreffend überliefert wurden. Ein besonders wertvolles Dokument für die politische Geografie der Spätbronzezeit ist der von Homer überlieferte Schiffskatalog, der die griechischen Kontingente im Krieg um Troja auflistet. Ebenso verzeichnet Homer die Verbündeten der Trojaner – eine Quelle, die bisher weit weniger intensiv untersucht wurde, aber durchaus wertvolle Gedankenanregungen im Hinblick auf die geopolitische Situation in dieser Zeit liefert.
Laomedon killed during the first Trojan War
Laomedon, König von Troja, stirbt durch einen von Herakles während des ersten Trojanischen Krieges abgeschossenen Pfeil; Ostgiebel des Tempels von Aegina, Glyptothek, München, Deutschland (© Luwian Studies #2011)
Sphinx at Karatepe-Aslantaş
Sphinx am Nordtor der Zitadelle von Karatepe-Aslantaş aus dem achten Jahrhundert v. Chr. (© Luwian Studies #0248)

800 v. Chr. – Phryger und Lydier: Der Wiederaufbau nach den Umwälzungen

Nachdem sich die Verwüstungen des späten 2. Jahrtausends v. Chr. gelegt hatten, zeichnete sich ab, welche Regionen schwere Verluste erlitten hatten – und welche aus den Umwälzungen gestärkt hervorgingen. Die einstige Machtzentrale Hattuša war untergegangen, doch ihre Rolle wurde zunächst von Gordion, der Hauptstadt des phrygischen Reiches, und später von Sardes, dem Zentrum des lydischen Reiches, übernommen. Dank reicher Bodenschätze, fruchtbaren Ackerbodens und der Kontrolle über bedeutende Handelsrouten konnte sich Kleinasien wirtschaftlich erholen und florieren. Griechenland hingegen durchlebte ein 400 Jahre währendes dunkles Zeitalter, während dessen sogar die Schriftkenntnis verlorenging.

Gleichzeitig blühten an anderen Orten neue Kulturen auf: Die Phönizier entwickelten ein Handelsnetz, das sich über das gesamte Mittelmeer erstreckte. Die Etrusker etablierten sich in Norditalien. Beide Kulturen zeigen auffällige Parallelen zur früheren luwischen Kultur in Westkleinasien, was auf Prozesse der kulturellen Übertragung hinweist. Gleichzeitig begannen griechische Siedler, sich in Kleinasien niederzulassen und die dortigen kulturellen Errungenschaften zu assimilieren. Die tiefgreifenden Impulse aus Anatolien spiegeln sich auch in der Philosophie und Naturforschung wider: Fast alle griechischen Denker vor Sokrates – darunter Thales, Anaximander und Heraklit – wurden in Westkleinasien geboren und wuchsen dort auf.
Sphinx at Karatepe-Aslantaş
Sphinx am Nordtor der Zitadelle von Karatepe-Aslantaş aus dem achten Jahrhundert v. Chr. (© Luwian Studies #0248)
Hieropolis Castabala
Architektonische Reste in Hieropolis Castabala, einer antiken Stadt in Kilikien in der Nähe des Flusses Ceyhan (© Luwian Studies #0249)

400 v. Chr. – Von der Klassik bis zur Neuzeit: Die wachgebliebene Erinnerung an das heroische Zeitalter

Im antiken Griechenland waren die Erinnerungen an das heroische Zeitalter allgegenwärtig. Viele Traditionen blieben im Epischen Zyklus erhalten, aus dem Homer seine Stoffe schöpfte. Zudem waren die zyklopischen Mauern und Überreste alter Wasserbauanlagen aus mykenischer Zeit als greifbare Zeugnisse einer vergangenen Epoche noch viele Jahrhunderte lang in der Landschaft sichtbar.

In der klassischen Antike erklärten nahezu alle griechischen Schriftsteller das Ende des heroischen Zeitalters mit dem, was sie den „Trojanischen Krieg“ nannten. Dabei scheint dieser Begriff weniger eine einzelne Schlacht als vielmehr eine Zusammenfassung der Krisenjahre um 1200 v. Chr. zu bezeichnen. Erstaunlicherweise lagen die Sympathien jahrtausendelang bei den Verlierern des Krieges, den Trojanern. Über Jahrhunderte hinweg versuchten europäische Adelsfamilien – von Julius Cäsar bis ins späte Mittelalter – ihre Abstammung auf trojanische Vorfahren zurückzuführen, um ihr Ansehen zu steigern. Erst mit den Ausgrabungen von Heinrich Schliemann im 19. Jahrhundert verlor Troja seinen legendären Glanz. Statt einer strahlenden Metropole kam eine mehrfach geschundene Zitadelle zum Vorschein, die nicht annähernd die Größe besaß, die ihr in den literarischen Überlieferungen zugeschrieben worden war.
Hieropolis Castabala
Architektonische Reste in Hieropolis Castabala, einer antiken Stadt in Kilikien in der Nähe des Flusses Ceyhan (© Luwian Studies #0249)
Luwian states attacked the eastern Mediterranean around 1192 BCE
Diesem Modell zufolge griff eine Koalition luwischer Staaten um 1192 v. Chr. die Küstenstädte des östlichen Mittelmeers an (© Luwian Studies #0113)

2025 n. Chr. – Neue Erklärungsmodelle: Ein Systemkollaps mit verschiedenen Ursachen

In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Theorien entwickelt worden, um den Zusammenbruch der bronzezeitlichen Kulturen zu erklären. Eine mögliche Kausalkette – die hier geschilderte – setzt beim Verlust der Kupferminen von Išuwa im östlichen Kleinasien an. Assyrien rang diese Region dem hethitischen Reich ab. Dessen Großkönig Tuthalija IV. annektierte kurzerhand den Kupferlieferanten Zypern, um den wirtschaftlichen Verlust abzufedern. Er ließ dort Militärstützpunkte errichten und kassierte fortan Steuern auf alle Waren, die in zyprischen Häfen umgeschlagen wurden. Diese Annexion dürfte den Ägäisanrainern ein Dorn im Auge gewesen sein, denn sie waren ungehinderten Zugang zu den Häfen gewohnt.

Als das hethitische Reich immer mehr schwächelte, gingen die luwischen Staaten in Westkleinasien schließlich ein Militärbündnis ein und bauten heimlich eine Flotte auf. Ihr Ziel war es, die Hethiter aus Zypern zu vertreiben und sich anschließend Syrien, dem letzten verbliebenen Vasallenstaat des hethitischen Reiches, zuzuwenden. Der hethitische Großkönig berichtet noch von Kämpfen um Zypern, was darauf hinweist, dass seine Streitkräfte im Süden gebunden waren. Für die Verteidigung der hethitischen Kerngebiete waren keine Ressourcen mehr geblieben. So drangen aus dem Norden die Kaškäer nach Zentralanatolien vor. Die hethitische Hauptstadt Hattuša wurde evakuiert und aufgegeben – und schließlich wohl von diesen nordanatolischen Gruppen geplündert und niedergebrannt.
Luwian states attacked the eastern Mediterranean around 1192 BCE
Diesem Modell zufolge griff eine Koalition luwischer Staaten um 1192 v. Chr. die Küstenstädte des östlichen Mittelmeers an (© Luwian Studies #0113)